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Brexit – Deal or No-Deal?

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Geradezu ruhig ist es um den Brexit zuletzt geworden. Das hat sich noch nicht einmal mit dem Gipfel der Europäischen Union (EU) am gestrigen Donnerstag geändert. Insofern bleibt es auch jetzt – nur sechs Wochen vor dem Ende der Übergangsfrist – bei dem, was auch in den Wochen davor stets ein Fakt war: Großbritannien und die EU konnten sich bislang nicht auf eine gemeinsame Position mit Blick auf die gegenseitigen (Wirtschafts-)Beziehungen nach dem Ende der Brexit-Übergangsphase ab 1. Januar nächsten Jahres einigen.

Und ein Blick auf den Kalender zeigt unmissverständlich: Die Zeit wird extrem knapp. Ohne eine derartige Übereinkunft droht allerdings das, was eigentlich niemand – weder diesseits noch jenseits des Kanals – wirklich ernsthaft will: ein ungeordnetes Ausscheiden Großbritanniens aus der EU, vor allem ohne jegliche Vereinbarungen über die zukünftigen Außenhandelsbeziehungen mit der EU. Chaotische Zustände wären zu Jahresbeginn 2021 wohl nicht auszuschließen.

Brexit: Die Chronik einer Scheidung

Warum stocken die Verhandlungen – was sind die Knackpunkte?

Nach wie vor wird vor allem um zwei Aspekte der äußerst komplexen Austrittsvereinbarung gefeilscht: den nordirischen Grenzstatus sowie die Fischereirechte der EU in britischen Gewässern. Die Frage nach dem zukünftigen Status für den britischen Teil Irlands (Nordirland) hat dabei durchaus Tragweite. Denn jegliche Regelung, die wieder eine „harte Grenze“ zwischen den beiden irischen Territorien (Nordirland und Republik Irland) zur Folge hätte, wäre eine Verletzung des sogenannten „Karfreitagsabkommens“ zur Beilegung des über 20 Jahre dauernden gewaltsamen Nordirland-Konflikts (70er, 80er und frühe 90er Jahre). Derzeit gibt es zwischen Irland und Nordirland eine „weiche Grenze“. Das heißt: Seit der Einführung des EU-Binnenmarktes 1993 finden keine (Güter-)Kontrollen bei Grenzübertritt statt. Die Konsequenz einer „harten Grenze“ wäre: Zwischen Irland (weiterhin ein EU-Mitglied) und Nordirland (zu Großbritannien gehörend) würde quasi über Nacht eine fast 500 Kilometer lange EU-Außengrenze entstehen – an Land wie zur See.

Bei den Fischereirechten, dem zweiten großen Streitthema, merkt man allerdings einmal mehr, mit wie viel Symbolik und mit wie wenig Sachorientierung der ganze Brexit-Prozess oft zu kämpfen hat. Denn wirtschaftlich bedeutsam kann das Durchsetzen der eigenen Seehoheit für die britische Regierung wohl kaum sein– schließlich macht die Fischerei nur 0,03 % (!) der gesamten britischen Wirtschaftsleistung aus.

Was interessanterweise in den letzten Wochen zumindest zu beobachten war: Der Hardliner-Kurs in Sachen Brexit, den die britische Regierung bislang verfolgt hat, gerät offenbar zunehmend ins Wanken. Zum einen hat mit dem Abgang des engen Johnson-Beraters Cummings das Lager der knallharten Brexit-Verfechter einen herben Schlag hinnehmen müssen. Zum anderen kommt auch aus dem Ausland zunehmend Störfeuer für die Johnson-Regierung. Vor allem der Wahlausgang in den USA dürfte den Verhandlungsspielraum der Briten deutlich schmälern. Mit dem Abgang Trumps – der möglicherweise auch eine generelle Schwächung Europas im Blick hatte und ein ausgesprochener Befürworter des Brexit war – und der Amtsübernahme durch Joseph Biden (einem Nachfahren irischer Einwanderer) ist aus dem Weißen Haus keine nennenswerte Unterstützung für Boris Johnsons Politik mehr zu erwarten. Vorteilhafte Handelsdeals mit dem großen Bruder USA – ein weiteres Brexit-Versprechen – wird sich für Großbritannien wohl in Luft auflösen.

Aber losgelöst davon, ob nun doch noch ein weiterer zeitlicher Aufschub kommt, endlich ein Kompromiss insbesondere in Bezug auf die beiden erwähnten Konfliktherde gefunden wird oder tatsächlich ein EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen („harter Brexit“) droht: Der Schaden ist bereits angerichtet. Die mit dem Austritt so oder so verbundenen Handelserschwernisse zwischen Großbritannien und der EU werden auf das Wirtschaftswachstum beider Parteien drücken. Die europäische Staatengemeinschaft bleibt bis auf Weiteres mit dem zeitraubenden Bürokratie-Monster Brexit beschäftigt, während Corona und andere geopolitische Herausforderungen (Neuregelung der Beziehungen zu den USA, Chinas Aufstreben) eigentlich Geschlossenheit und volle Konzentration erfordern würden. Und schließlich wird auch mit den wirtschaftlichen Spätfolgen der aktuellen Pandemie zu kämpfen sein.

Der Brexit und die Folgen für den Anleger

Trotz dieser vielfältigen großen Herausforderungen wäre auch ein ungeregelter Brexit kein Weltuntergang. Vor allem der Blick auf die weltweite Wirtschaftsleistung und die globalen Aktienmärkte ist Grund für Gelassenheit: 2019 lag der Anteil Großbritanniens am globalen Bruttoinlandsprodukt bei lediglich 2,4 % – an den globalen Aktienmärkten bei rund 3,7 %.

Der britische Stern sinkt - wirtschaftlich gesehen

Selbst massive wirtschaftliche Verwerfungen auf der Insel – mit denen Stand heute nicht zu rechnen ist – würden insofern die Weltwirtschaft oder die internationalen Aktienmärkte nicht nachhaltig aus dem Takt bringen. Selbst die wirtschaftlich eng mit Großbritannien verflochtene EU dürfte nur sehr moderat betroffen sein, wie sich aus den mit wenigen Ausnahmen (z. B. Irland) überschaubaren außenwirtschaftlichen Abhängigkeiten schließen lässt. So fatal der Brexit für die gemeinsame europäische Sache also auch sein mag, so wenig kann er eine auf weltwirtschaftlichem Wachstum basierende, langfristig ausgerichtete internationale Aktienstrategie in Mitleidenschaft ziehen. Diesbezüglich hat der Brexit seinen Schrecken verloren.

 

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