Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende, es war ein besonderes Jahr, auch für Anleger. Im Interview spricht Professor Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank AG, über Börsenturbulenzen, Anlagestrategien, Wissenschaft und tauchende Delfine.
Dirk Althoff (Unternehmenskommunikation): Herzlich willkommen auf der MS Quirin zu „Mays Logbuch“, das diesmal kein Buch, sondern eher ein Film ist. Heute beschäftigen wir uns mit einem Blick auf die Märkte und blicken in die Portfolios der Quirin Privatbank. Und dafür begrüße ich die geballte Anlagekompetenz. Er ist Leiter unseres Anlagemanagements und hat mit seinem Team die Ohren am Puls der Finanzmarktforschung. Er sorgt dafür, dass Ihr Geld klug angelegt wird. Herzlich willkommen, Prof. Dr. Stefan May.
Prof. Dr. Stefan May (Leiter Anlagemanagement): Herzlich willkommen.
Althoff: Stefan, 2020 ist ein Jahr, das es in sich hat – das kann man, glaube ich, guten Gewissens so sagen. Mit dieser Aussage treffen wir schon auf ein Thema, das sehr eng mit der Quirin Privatbank verbunden ist und mit ihrer Anlagephilosophie, nämlich der Prognosefreiheit. Also, kurzes Gedankenspiel: Wenn ich dich vor einem Jahr nach einer Prognose für 2020 gefragt hätte und danach, was das Topthema für das Jahr wird, was hättest du geantwortet?
May: Tja, das ist wirklich ein guter Punkt, Dirk. Wenn ich ehrlich sein soll: Meine Position wäre sicherlich nicht Corona gewesen. Ich dachte damals, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China eskalieren wird, zumal ich, und das ist schon die nächste Fehlprognose, davon ausging, dass Donald Trump Präsident bleibt. Beides ist ja nun nicht eingetreten, Gott sei Dank, die Handelsfriktionen haben sich als nicht so stark erwiesen wie von mir befürchtet.
Althoff: Und Trump ist auch nicht Präsident geworden. Stand heute: Er hat es noch nicht ganz akzeptiert, hat man den Eindruck, aber es ist doch wohl der Fall, dass er es nicht geschafft hat. Also, es kam alles anders. Es kam Corona und breitete sich aus. Wie beurteilst du denn letztlich die Auswirkungen des Virus auf die Finanzmärkte?
May: Das ist natürlich schwierig einzuschätzen. Aber alles in allem, muss ich sagen, bin ich eher positiv. Und zwar sieht es ja nun wirklich so aus, als seien wir kurz vor einem Durchbruch, was einen wirkungsvollen Impfstoff anbelangt. Und Biden ist Präsident, von daher sehe ich auch Entspannung an der internationalen Handelsfront, so dass ich sagen würde: Es sind die Zeichen tatsächlich sehr positiv. Wir haben ja auch schon einen kleinen Vorgeschmack bekommen vor ein paar Wochen, als das Unternehmen Biontech diese hervorragenden Testergebnisse verkündet hat, was die Wirksamkeit ihres Impfstoffes anbelangt, da haben die Märkte ja geradezu einen Sprung nach oben gemacht. Und so kann ich mir durchaus für 2021 vorstellen, dass die Märkte geradezu nach oben wollen. Wenn solche guten Nachrichten kommen, bin ich schon recht positiv für die Märkte eingestellt. Auch von der ökonomischen Seite her würde ich sagen: Wir werden starke Wachstumsimpulse sehen.
Althoff: Das waren ja jetzt ganz schön viele Prognosen auf einmal für 2020: Trump Präsident, gute Marktentwicklung vorhergesagt. Wie passt denn das damit zusammen, dass die Quirin Privatbank eigentlich prognosefrei unterwegs ist?
May: Tja, das ist immer ein alter Diskussionspunkt, ein ewiger Streit, den wir haben. Wenn ich ehrlich bin: Ganz genau genommen sind wir eigentlich nicht wirklich prognosefrei, denn wir gehen ja auch davon aus, dass die Märkte letztlich ihre Anleger entlohnen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Risikoprämien. Das heißt, wenn wir von positiven Renditen und von positiven Wertentwicklungen ausgehen, unterstellen wir ja eigentlich auch schon eine Art Prognose. Nur machen wir nicht das, was üblicherweise die meisten unserer Wettbewerber machen, nämlich das, was man in der Wissenschaft sogenannte Punktprognosen nennt. Also: Wo steht der DAX am Ende des Jahres 2021? Diese Dinge. Wir gehen natürlich von positiven Wertentwicklungen aus für die Finanzmärkte. Dafür gibt es ja auch gute Gründe. Die Funktionsweise des Wirtschaftssystems hängt letztlich davon ab. Und wenn man so will, kann man das auch als Prognose bezeichnen, aber wie gesagt machen wir keine Punktprognosen. Und insbesondere setzen wir nicht die Vermögen unserer Kunden dem Risiko irgendwelcher Szenarien, irgendwelcher kurz- oder mittelfristigen Prognosen, aus.
Althoff: Wenn ich dich nach dem heißen Tipp für die Branche des Jahres oder sogar das Unternehmen des Jahres fragen würde, dann bekomme ich vermutlich keine Antwort von dir?
May: Ja, lieber Dirk, ich habe dazu eine Meinung – aber ich sage sie dir nicht. Und zwar aus einem einfachen Grund: Sie widerspricht all dem, wofür unsere Anlagestrategie steht. Ich glaube, es ist wirklich schädlich für die Kunden, für Anleger, auf solche heißen Einzeltipps zu setzen. Das verhindert nicht, dass man doch persönlich mal den einen oder anderen Verdacht hat, aber ich würde niemals mein Geld oder das Geld meiner Kunden auf solches Risiko setzen.
Althoff: Weil das Risiko letztlich zu groß ist?
May: Letztlich ist das Risiko nicht kalkulierbar. Die Beispiele sind ja Legionen, bei denen sich Leute die Finger verbrannt haben. In den Zeitungen liest man natürlich immer nur die Erfolgsstorys. Aber wie viele auf der Strecke geblieben sind, bleibt leider unerwähnt.
Althoff: Also besser keine Zockerei, um es mal so auszudrücken.
May: Definitiv.
Althoff: Aber ihr verändert trotzdem von Zeit zu Zeit die Zusammensetzung der Kundenportfolios. So auch im Juni dieses Jahres, da habt ihr das Herzstück der Vermögensverwaltung, den Markt-Baustein, weiterentwickelt. Wieso war das denn notwendig? Und was haben die Kunden davon?
May: Ja, das ist nun wirklich eine schwierige Frage, weil die Antwort Gefahr läuft, dass sie ein bisschen zu technisch wird. Aber ich versuche es trotzdem mal, den Kern dieser Änderungen rüberzubringen. Wie ich vorhin schon erwähnt habe, wollen wir das Vermögen unserer Kunden ganz bewusst nicht dem Risiko irgendwelcher Szenarien aussetzen, weil diese Szenarien eben schiefgehen können. Dann stellt sich natürlich die Frage: Was machen wir denn stattdessen? Unsere Antwort darauf ist: Wir wollen das Vermögen unserer Kunden breitestmöglich diversifiziert weltweit anlegen. Die Forschung sagt uns, dass das tatsächlich der beste Weg ist. Und unsere Weiterentwicklung bezieht sich nun auf die Frage: Was ist denn eigentlich die breitestmögliche Anlageform? Da gibt es durchaus Entwicklungen, auch in der Forschung, weshalb wir hier neue Faktorindizes in unseren Ansatz integriert haben. Denn wir wollen ja, bildlich gesprochen, das Weltportfolio in die Depots unserer Kunden bringen. Und die Frage ist: Wie gelingt uns das? Unser Weg besteht darin, dass wir, weil man im buchstäblichen Sinne nicht in das Weltportfolio investieren kann – das wären ja alle Aktien, die überhaupt verfügbar sind –, dass wir also den Weg über sogenannte Faktorindizes gehen. Und im Kreis dieser Indizes sind eben nun zwei neue hinzugetreten, nämlich der sogenannte Momentumfaktor und der sogenannte Low-Vol-Faktor, und die ergänzen nun den Reigen der Faktorindizes, in deren Rahmen wir investieren. Die Kernbotschaft bleibt aber unverändert, nämlich: Wir wollen in die Depots der Kunden die Weltwirtschaftskraft integrieren, präsentiert durch das, was man sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Praxis das Marktportfolio nennt.
Althoff: Wenn man aktuell die Zeitungen und Zeitschriften aufschlägt, dann liest man sehr oft: Kauf einen ETF auf den MSCI World, dann hast du die Weltwirtschaft in deinem Depot. Wäre das nicht viel einfacher, wenn ich dem Glauben schenke?
May: Das ist immer das große Missverständnis. Wir haben eindeutige Untersuchungsergebnisse, die uns zeigen, dass einzelne Indizes oder auch zu wenige einzelne Indizes eine zu starke Schwerpunktsetzung in bestimmten Bereichen haben. Wenn du die aktuelle Situation nimmst: Der von dir erwähnte Morgan Stanley Capital International (MSCI) Index ist derzeit ein schönes Beispiel. Der hat momentan eine ganz, ganz starke Übergewichtung im Technologiesektor. Das mag derzeit gut laufen, aber wir wissen nicht, ob es auch so weiterläuft, und das Risiko ist sehr groß, dass dieser Sektor auch mal eins gewaltig auf die Mütze bekommt. Dann sind die Verluste größer, als sie sein müssten. Das heißt, solche ganz bewussten Schwerpunktsetzungen, die man mit einzelnen Indizes nicht vermeiden kann, wollen wir aus den Depots heraushalten.
Althoff: Und das macht ihr wissenschaftlich? Du bist ein Mann der Wissenschaft. Was muss ich mir unter „Finanzmarktforschung“ vorstellen? Ist da nicht schon alles erforscht? Ändern sich Forschungsstände denn immer wieder?
May: Na ja, alles erforscht, das ist so eine Sache. Ich möchte mal eine zweigeteilte Antwort geben: Es gibt gewisse Grundprinzipien. Die verändern sich nicht. Und die verändern sich auch nicht in neueren Forschungsergebnissen. Man kann natürlich frei nach James Bond sagen: Niemals nie. Wir wissen es natürlich nicht, aber momentan sieht es so aus – dazu sind ganze Bibliotheken vollgeschrieben worden –, als würde der Grundsatz, dass die Wertentwicklung an den Märkten nichts anderes ist als eine Risikoprämie für das Eingehen sogenannter systematischer Risiken, Bestand haben – auch über verschiedene Marktzyklen hinweg. Der zweite Teil meiner Antwort bezieht sich dann auf die Details, zum Beispiel: Wie können wir das Marktportfolio in die Kundenportfolios holen? Wie konkret mithilfe welcher Methoden und Instrumente? Da verändert sich laufend etwas, denn es verändern sich ja auch die Märkte. Sie verändern sich in ihrer Zusammensetzung, und insofern wäre es ein Wunder, wenn sich an der wissenschaftlichen Front nichts verändern würde. Ein wichtiger Punkt, den ich auch rüberbringen möchte: Unsere Kunden sollten sich das Anlagekonzept unserer Bank nicht so vorstellen, als sei das einmal monolithisch festgesetzt und ein für alle Mal zementiert, sondern wir bleiben am Puls der Zeit, wir rezipieren die laufende Forschung, und wenn da was Relevantes dabei ist, dann werden wir es integrieren.
Althoff: Also ist Wissenschaft eher ein Prozess als das Feststellen eines Status quo, für den man nur noch Belege finden muss?
May: Ja, das kann man so sagen. Das hat ja jetzt auch die breitere Öffentlichkeit mitbekommen. Stichwort Corona. Da haben die Leute jetzt auch gelernt, dass es zumindest in der Virologie nicht die ewigen Weisheiten gibt, sondern durchaus auch unterschiedliche Positionen, auf der anderen Seite aber auch ein festgefügtes Wissen, über das sich alle einig sind.
Althoff: Wir sind hier in einem Format, das „Mays Logbuch“ heißt. Da veröffentlichst du alle vierzehn Tage zusammen mit deinem Team einen Artikel zu einem bestimmten Thema. Wir haben uns jetzt mal die Bestenlisten dieses Jahres angeguckt. Eines der beliebtesten Logbücher trug den etwas kryptischen Titel „Von Bullen, Bären und Delfinen“. Worum ging’s denn da?
May: Das fand ich eine lustige Geschichte, aber mit den Lorbeeren darf ich mich nicht selber bekränzen, weil das auf unseren Chefvolkswirt Philipp Dobbert zurückging. Der Hintergrund dieses kleinen Artikels war der, dass es, wie man ja weiß, an den Märkten diese prototypischen Tiere gibt: den Bären, der mit seinen Tatzen die Kurse nach unten schlägt und für fallende Kurse steht, und auf der anderen Seite den Bullen, der die Kurse auf seine Hörner nimmt und nach oben wirft. Und entsprechend gibt es auch zwei Anlegertypen: die eher Bullischen und die eher negativ Gestimmten. Der Vorschlag von Philipp Dobbert bestand nun darin, zu sagen: Wir nehmen noch ein drittes Tier in den Reigen auf, nämlich den Delfin, der so schlau ist, dieses Spielchen mit Auf und Abs nicht mitzumachen, sondern die Wellen der Börse durchtaucht. Daher das Bild des Delfins.
Althoff: Die Logbücher findet man alle auf der Website der Quirin Privatbank. Jeder, der Interesse hat, kann sie da nachlesen. Zum Abschluss vielleicht noch mal ein kleiner Blick hinter die Kulissen. Du bist Professor an der Technischen Hochschule in Ingolstadt und Leiter des Anlagemanagements der Quirin Privatbank. Das klingt für mich nach zwei Full-Time-Jobs. Wie bringst du das unter einen Hut?
May: Ja, das ist wirklich ein spannender Punkt. Ich bin ja Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement. Und es gibt vermutlich keinen Bereich in der gesamten Wirtschaftswissenschaft, der eine engere Verzahnung zwischen Theorie und Praxis aufweist als mein Forschungs- und Lehrgebiet. Das heißt, ich beschäftige mich seit über zwanzig Jahren mit der Finanzmarktforschung und vertrete sie auch in der Lehre. Und auf der anderen Seite gibt es eben die Quirin Privatbank, die sich vor über sieben Jahren zu einer konsequent wissenschaftlichen Anlagephilosophie durchgerungen hat. Von daher ist es für ein Haus wie die Quirin Privatbank sinnvoll gewesen, so jemanden wie mich an Bord zu holen, der eben dieses evidenzbasierte Anlagekonzept sowohl nach außen als auch nach innen, ich hoffe zumindest, glaubwürdig vertritt. Das ist die eine Seite, und die andere Seite ist die Hochschule. Im Rahmen meiner Lehrtätigkeit muss ich den Studenten oftmals schwere Kost zumuten, wirklich anspruchsvolle Theorien, die sie verstehen müssen. Und da erhöht es die Akzeptanz seitens der Studierenden ganz enorm, wenn man in der Lage ist, als Person glaubwürdig zu vertreten, dass das, was man versucht ihnen beizubringen, nicht ein reines Glasperlenspiel ist, sondern tatsächlich auch Hand und Fuß hat und in der Praxis umgesetzt wird. Persönlich möchte ich noch anfügen: Die Kombination aus beidem und die damit verbundene Arbeit, sowohl in der Bank als auch an der Hochschule, ist etwas, das wahnsinnig hohe Synergieeffekte aufweist und mir einen unglaublichen Spaß macht.
Althoff: Und ganz zum Schluss noch etwas Persönliches. Weihnachten steht vor der Tür, deshalb die Frage an dich: Wie planst du, das Fest zu verbringen?
May: Eigentlich ganz normal wie immer. Wir haben zwei Kinder, die sind beide erwachsen und wollen uns gerne besuchen. Und wir freuen uns natürlich riesig und werden im kleineren familiären Kreis das Fest begehen.
Althoff: Vielen Dank für die interessanten Einblicke, Stefan.
Profitieren Sie von der Weltwirtschaftskraft und durchtauchen Sie wie ein Delfin die Wellen der Börsen. Das geht am besten mit einem Sparplan im Rahmen unserer etablierten Vermögensverwaltungen. Denn während viele Anleger oft zu ungünstigen Zeitpunkten in den Aktienmarkt ein- oder aussteigen, führt eine Sparplanstrategie automatisch zu einem rationaleren Anlageverhalten, da man kontinuierlich und damit prognosefrei investiert – und sich so der durchschnittliche Einstiegskurs verbilligt. Lassen Sie sich zu den Vorzügen von Sparplänen von unseren Vermögensberaterinnen und Vermögensberatern persönlich beraten oder schließen Sie Ihren Sparplan bequem von zu Hause bei unserer digitalen Geldanlage quirion ab.
Disclaimer/rechtliche Hinweise
Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.
Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.