arrow left
Alle News

Wahlfieber und angeschlagene Konjunktur in den USA – wankt die wichtigste Wirtschaftsnation?

,
Minuten

Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von knapp 23 Bio. US-Dollar[1] sind die USA nach wie vor das absolute Zugpferd der globalen Wirtschaft – und was an der Börse in der Wall Street geschieht, besitzt vielfach Leitfunktion für die übrigen Kapitalmärkte. Kein Wunder also, dass sich derzeit viele bange Blicke nach Übersee richten. Dort wurde in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch im Rahmen der traditionellen Zwischenwahlen (Midterms) der US-Kongress, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus, großteils neu gewählt. In beiden Kammern hatten in der ersten Hälfte von Joe Bidens Amtszeit die Demokraten knapp die Nase vorn und der prognostizierte Schwenk in Richtung Republikaner bereitete im Vorfeld vielen Anlegerinnen und Anlegern Kopfzerbrechen – angesichts des nicht ganz unwahrscheinlichen parteilichen Gezerres, das daraus entstehen und wichtige politische Vorhaben lähmen könnte.  

Börsen im Umfeld von Zwischenwahlen

Der von vielen befürchtete Durchmarsch der Republikaner hat letztlich nicht stattgefunden. Trotzdem sind die politischen Strukturen in den USA nach unserer Einschätzung fragiler geworden, denn man muss Stand heute davon ausgehen, dass zumindest eine der beiden Kammern an die Republikaner geht. Nun möchten wir an dieser Stelle aber gar nicht spekulieren, was diese Gemengelage denn nun mit Blick auf die Kapitalmärkte bedeuten könnte. Schließlich sind die Auswirkungen politischer Geschehnisse in aller Regel viel geringer als oft befürchtet – vor allem wenn es um Wahlen geht. Gravierende geopolitische Ereignisse wie der Krieg in der Ukraine stellen natürlich eine Ausnahme dar. 

Auch wenn die Politik immer wieder Entscheidungen trifft, die auch die Wirtschaft tangieren, nehmen die Börsen Wahlergebnisse in der Regel sehr unaufgeregt zur Kenntnis, was auch auf die Ergebnisse der Midterms zutrifft. Speziell die Zwischenwahlen werden seit jeher von politischen Unsicherheiten begleitet. Beinahe traditionell wird die Partei des amtierenden US-Präsidenten bei diesen Abstimmungen von den Wählerinnen und Wählern abgestraft.

Eine interessante Auswertung des US-Bankhauses U.S. Bancorp, über die auch das Manager Magazin und Börse online berichteten, zeigt allerdings, dass das im Nachgang bislang nicht für Aufruhr an den Börsen gesorgt hat. Ausgewertet wurde die Wertwicklung des S&P 500 Index in den 12 Monaten nach den alle zwei Jahre abgehaltenen Midterms seit 1960. Hier ergab sich (bis 2018) im Schnitt sogar eine deutlich überdurchschnittliche Performance von im Mittel 16,3 %. Im Vorfeld von Zwischenwahlen ergab sich übrigens über ein Jahr gesehen lediglich ein durchschnittliches Plus von 0,3 %.

Börsenverhalten nach US-Zwischenwahlen

Selbstverständlich lässt sich aus diesen Entwicklungen, trotz ihrer augenscheinlichen Eindeutigkeit, keinesfalls eine stichhaltige Prognose für die künftige Kursentwicklung ableiten – dafür sind Börsenkurse einfach von zu vielen Faktoren abhängig. Vielmehr soll die Auswertung verdeutlichen, dass missliche Wahlergebnisse nicht zwangsläufig zu Kursabschlägen führen.

Viel wichtiger für die Aktienmärkte ist ohnehin die wirtschaftliche Entwicklung, die sich letztlich oft unabhängig von politischen Entscheidungen ergibt.

Von daher möchten wir an dieser Stelle den entsprechenden Status quo beleuchten.

US-Wirtschaft im Bann von Inflation und steigenden Zinsen

Auch die US-Wirtschaft leidet unter der anhaltenden Lieferkettenproblematik gepaart mit einer hohen Inflation.

Legt man die übliche Definition zugrunde, sind die USA bereits in der ersten Jahreshälfte 2022 in eine Rezession gerutscht. Das bedeutet eine Schrumpfung der realen Wirtschaftsleistung (nach Abzug der Inflation) über zwei Quartale hinweg, jeweils im Vergleich zum vorhergehenden Quartal. Dabei rechnen die Amerikaner traditionell das prozentuale Quartalswachstum auf das Gesamtjahr hoch. Beispiel: Die Schrumpfung im zweiten Quartal 2022 um rund 0,15 % wurde (multipliziert mit vier) auf 0,6 % hochgerechnet.

Reales US-BIP-Wachstum seit Anfang 2019

Ein für wirtschaftliche Schwächephasen untypisch robuster Arbeitsmarkt, der den privaten Konsum stützte, trug aber dazu bei, dass diese Entwicklung bereits im dritten Quartal mit einem Plus von 2,6 % vorerst gestoppt werden konnte.

Widerstandfähiger US-Arbeitsmarkt

Auch die Tatsache, dass viele Amerikaner pandemiebedingt noch über relativ hohe Ersparnisse verfügen, stützte den durch die hohe Inflation gebeutelten Konsum. 

Die aktuelle Wirtschaftserholung ist allerdings aus unserer Sicht etwas trügerisch. Das Wachstum ist zuletzt zunehmend durch den starken Dollar beflügelt worden, der den (negativen) Außenbeitrag zum Wachstum (Exporterlöse minus Importaufwendungen) in positiver Weise beeinflusst. Die traditionell stark auf Importe fokussierte US-Wirtschaft profitiert derzeit davon, dass für in Fremdwährung importierte Güter und Dienstleistungen wertmäßig weniger Dollar aufgewendet werden müssen. Währungseffekte sind aber relativ flüchtig, das heißt, der Wind kann hier auch schnell wieder drehen.    

Zudem dürfte sich die zunehmend restriktive Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve (kurz: Fed) in den nächsten Quartalen noch einmal verstärkt auswirken. Die Fed stemmt sich mit relativ starken Zinserhöhungen und auch mit der Drosslung der großvolumigen Anleiheaufkäufe um rund 100 Mrd. US-Dollar pro Monat, was tendenziell ebenfalls zu einem höheren Zinsniveau führt, gegen die hohe Inflation. Die Drosselung der Anleihekäufe bewirkt auch eine Schrumpfung der über die Jahre stark aufgeblähten Bilanz der US-Notenbank.

US-Notenbank stemmt sich gegen die Inflation

Da sich auf diese Weise auch Kreditkonditionen verteuern, ist sowohl mit einer rückläufigen Investitionsneigung der Unternehmen zu rechnen als auch mit geringeren Konsumausgaben, preisdämpfende Effekte inklusive. Dies alles dämpft aber letztlich auch die Wirtschaft. Dazu kommt, dass sich eine rückläufige Investitionsneigung in vielen wichtigen Bereichen, wie z. B. den Ausrüstungsinvestitionen, üblicherweise erst mit einer gewissen Zeitverzögerung bemerkbar macht. Aktuell ist es zunächst vor allem im Wohnungsbau zu einer entsprechenden Investitionszurückhaltung gekommen. Weitere Konjunkturrücksetzer wären also keine Überraschung.

Aktuelle Konjunkturprognosen bleiben diffus

Insgesamt bleibt das Konjunkturbild derzeit extrem schwer einschätzbar, was auch die relativ breite Spreizung der Meinungen über das mögliche Ausmaß des Konjunkturdämpfers zeigt.

Während Volkswirtinnen und Volkswirte für dieses Jahr noch vergleichsweise einträchtig mit einem realen US-Wirtschaftswachstum von 1,5 bis 2 % rechnen – und damit immerhin keine groben Abweichungen vom langjährigen Schnitt erwarten (rund 2 % in den letzten 20 Jahren) –, gehen die Schätzungen für das nächste Jahr relativ weit auseinander: von einer mehr oder weniger markanten Schrumpfung bis hin zu noch spürbaren Wachstumsraten im Bereich von 1 %. Auch die Einschätzungen, ob den USA ab 2024 die Rückkehr auf den üblichen Wachstumspfad gelingt, sind noch sehr heterogen.

Mays Logbuch: Wahlfieber und angeschlagene Konjunktur in den USA – wankt die wichtigste Wirtschaftsnation?

US-Notenbank vor großer Herausforderung

Viel wird wohl letztlich davon abhängen, wie weit die Fed mit ihren Zinsschritten geht.

Im Moment liegt der Fokus offenbar immer noch klar auf der Inflationsbekämpfung. Zumindest ein weiterer Zinsschritt in Richtung 4,5 bis 4,75 % ist also ziemlich wahrscheinlich. Dabei spielt es der Fed in die Karten, dass die Wirtschaft trotz der Belastungsfaktoren noch über relative Stärke verfügt, die sich vor allem in der Arbeitsmarktlage widerspiegelt. Die jüngste Zinspolitik wirft die Wirtschaft also keineswegs vollends aus der Bahn.

Mit Blick auf die Inflation ist der Notenbank vor allem noch ein Dorn im Auge, dass sich die Teuerung doch recht breit über verschiedenste Wirtschaftsbereiche erstreckt (breiter z. B. als die Euro-Zonen-Inflation, die weiterhin extrem von den Energiepreisen geprägt ist), was sie hartnäckiger erscheinen lässt. Zwar ist sie seit dem Sommer immerhin von gut 9 auf 7,7 % im Oktober zurückgefallen, die Kerninflation, die schwankungsanfällige Komponenten wie Nahrungsmittel und Energie ausschließt, liegt aktuell aber bei einer Jahresveränderungsrate von 6,3 %, und damit auf einem Niveau, dass zuletzt vor rund 40 Jahren erreicht wurde.

Zwei positive Aspekte sind aber aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang noch erwähnenswert.





Unterschiedliche Inflationsmaße in den USA




US-Inflationserwartung noch moderat

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass auch die jüngsten Daten zur Lohndynamik nicht auf eine Lohn-Preis-Spirale hindeuten.  

Wie schlagen sich die US-Aktienmärkte in diesem Umfeld?

Die US-Börsen tun sich angesichts der wirtschaftlichen und geldpolitischen Gratwanderungen in diesem Jahr merklich schwer. Seit Jahresbeginn liegt der S&P 500 Index mit rund 21 % im Minus. Kurzfristig gesehen eine schmerzliche Entwicklung (wenngleich das Minus für Euro-Anlegende mit rund 10 % deutlich geringer ausfällt). Längerfristig gesehen wirkt die Korrektur allerdings nicht mehr ganz so eklatant. 

US-Aktien mit Durchhänger

Zuversicht bleibt Trumpf

Folgende Aspekte tragen aktuell zu unserer Zuversicht bei, dass sich der US-Markt nicht in einem nachhaltigen Abwärtstrend, einem sogenannten Bärenmarkt, befindet:









Fazit für Anlegerinnen und Anleger

Gerade turbulente Börsenphasen verführen zu vorschnellen Anlageentscheidungen. In Bezug auf US-Aktien sorgen aktuell besonders die Zwischenwahlen und das markante Auftreten der Fed für Unsicherheit.

Nichtsdestotrotz sind und bleiben US-Aktien ein ganz elementarer Bestandteil eines sinnvoll gestreuten Aktienportfolios. Immerhin konzentrieren sich in den USA gut 50 % des weltweit investierten Aktienkapitals. Hier finden sich nach wie vor die mit Abstand innovativsten und wachstumskräftigsten Unternehmen der Welt. Daran werden auch die aktuelle wirtschaftliche Schwächephase und der – letztlich auch endliche – Zinserhöhungszyklus nichts ändern.

Wer prognosefrei und an der Marktkapitalisierung orientiert an den internationalen Aktienmärkten investiert ist, so wie wir es allen Anlegerinnen und Anlegern ans Herz legen, sollte auch in diesen Zeiten nicht am relativ hohen US-Anteil rütteln. 

Autor: Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung der Quirin Privatbank

 

 

Wie Sie konkret und effizient von der Kraft der Weltwirtschaft profitieren können, lesen Sie in unserer kostenlosen Marktstudie.

Und warum es sich trotz möglicher Rezession dennoch lohnt, an der Börse zu investieren, hören Sie hier:

[1] Zum Vergleich: BIP Deutschland: 4,2 Bio. US-Dollar, BIP Euro-Zone: 14,5 Bio. US-Dollar, BIP China: 17,7 Bio. US-Dollar  

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

[1] Zum Vergleich: BIP Deutschland: 4,2 Bio. US-Dollar, BIP Euro-Zone: 14,5 Bio. US-Dollar, BIP China: 17,7 Bio. US-Dollar  

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

Über den Autor

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

Das könnte Sie auch interessieren

Q.Ai macht Schule – wenn die KI zum Lehrer wird
September 13, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Q.Ai macht Schule – wenn die KI zum Lehrer wird

Ist die deutsche Wirtschaft noch zu retten?
September 6, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Ist die deutsche Wirtschaft noch zu retten?

Halb voll oder halb leer?
August 30, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Halb voll oder halb leer?

Jetzt anlegen und Vermögen aufbauen.