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"Schubladendenken" an den Märkten

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Kalt und empathielos. So wirken die Aktienmärkte auf Anlegerinnen und Anleger manchmal in schweren Krisen, denn oft schlagen sie eine völlig andere Richtung ein, als man aufgrund der aktuellen Situation erwarten würde. Sie fallen beispielsweise aus heiterem Himmel, selbst wenn (scheinbar) alles in Ordnung ist, und steigen trotz extrem schlechter Nachrichtenlage.

So kommt es immer mal wieder vor, dass die Märkte sogar genau dann steigen, wenn die Nachrichtenlage am schlimmsten ist. Viele sind darüber entsetzt und deuten das als unmenschlich und herzlos. Und das ist es letztlich auch, denn die globalen Märkte haben nun mal keine Emotionen. Doch exakt aus diesem Grund sind sie eben auch die besten „Krisenverarbeitungsmaschinen“, die es gibt. Sie sind extrem robust, in ihrer Reaktion aber für niemanden abzusehen, selbst im Falle offensichtlicher Krisen nicht.

So ist beispielsweise der DAX am 9. März trotz Russland-Ukraine-Krieg an einem einzigen Tag um fast 9 Prozent gestiegen, der Leitindex schwankte an diesem Tag um 1.000 Punkte, das ist die größte nominale Schwankung innerhalb eines Tages in der Geschichte des DAX. Dieses Phänomen, dass die Börsenkurse ungeachtet einer insgesamt schlechten Nachrichtenlage steigen, konnte ich schon häufiger beobachten, genauso wie die gegenteilige Entwicklung, sprich, dass die Kurse plötzlich aus heiterem Himmel fallen.  

Hinzu kommt, dass die Börsen manchmal selbst auf kleinste Veränderungen des fundamentalen Umfeldes aufs Heftigste reagieren – und zwar sowohl nach oben als auch nach unten.

Doch wie kann es sein, dass die Märkte dann steigen, wenn die Bilder oder Informationen in den Abendnachrichten uns eigentlich etwas anderes erwarten lassen? Warum reagieren Aktienkurse häufig völlig unerwartet und gegen die Intuition?

Um dies zu verstehen, hilft vielleicht die folgende Vorstellung weiter: Zu jedem Zeitpunkt gibt es sozusagen einen Pool an positiven Überraschungen und einen Pool an negativen Überraschungen. Beide Pools – ich bezeichne sie der Einfachheit halber einfach mal als positive und negative Schubladen – existieren immer parallel nebeneinander. Ob sich im Einzelfall eine Überraschung aus der negativen oder eine aus der positiven Schublade zeigt, ist völlig unberechenbar, anderenfalls wären es ja keine Überraschungen mehr.

Schubladendenken an den Märkten

Speziell im Verlauf einer Krise greift dann der folgende Wirkmechanismus: Je tiefer die Krise und je schlechter die Nachrichtenlage, desto leerer wird die Schublade der negativen Überraschungen und desto größer wird daher das (relative) Gewicht der positiven Überraschungen. Mit zunehmend schlechter werdenden Nachrichten steigt also die Wahrscheinlichkeit, dass sich dann doch bald mal wieder eine positive Überraschung zeigt. Und so war es auch am 9. März – Ereignisse, die die Märkte definitiv nicht erwartet hatten, ließen den DAX deutlich ins Plus drehen, obwohl sich an der Gesamtgemengelage im Grunde nichts geändert hatte.

Was war geschehen?

Am 9. März gab es Aussagen aus dem Kreml, dass Russland keinen Machtwechsel mehr in der Ukraine anstrebe. Die Ukraine wiederum hatte die Bereitschaft signalisiert, über einen Neutralitätsstatus (ohne unbedingten NATO-Beitritt) zu verhandeln. Zudem stand das Treffen zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in der Türkei bevor, von dem man sich ebenfalls eine Besserung der Lage versprach. Darüber hinaus gab es wohl noch etwas Rückenwind, weil der Ölpreis trotz Importstopp der USA nicht weiter gestiegen war. Zu guter Letzt dürften auch Vorgänge an den Terminmärkten den Schwung unterstützt haben. Aufgrund der abrupten Gegenbewegungen nach oben mussten sich Spekulanten, die auf fallende Kurse gesetzt hatten, mit Aktien eindecken, um Verluste zu begrenzen. Man spricht dann auch von Short-Eindeckungen, was Bewegungen nach oben verstärkt.  

Um die hier nur schematisch skizzierten Auswirkungen positiver und negativer Überraschungen auf Kursentwicklungen nachvollziehen zu können, hilft es, sich die grundsätzliche Funktionsweise von Finanzmärkten vor Augen zu führen:

Ich hoffe, meine Ausführungen können ein klein wenig dazu beitragen, Sie, liebe Leserinnen und liebe Leser, mit den emotionslosen und scheinbar herzlosen Reaktionen der Märkte zu versöhnen. Ich persönlich betrachte es so: Wenn bei uns Menschen die Emotionen überkochen, behalten die Märkte ihre kalte Rationalität – was vor allem in Krisen vielleicht nicht das Schlechteste ist.

Speziell mit den positiven Überraschungen verhält es sich ein bisschen wie mit der menschlichen Hoffnung und Zuversicht in schweren Zeiten – je mehr schlechte Nachrichten wir bekommen, desto stärker hoffen wir, dass dann doch bald alles gut wird. Mir persönlich fällt das in der aktuellen Lage schwerer denn je – und doch spüre ich sie, diese Hoffnung, diese Erwartung, auf hoffentlich bald bessere Nachrichten aus der Schublade der positiven Überraschungen.

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

 

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Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

 

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