Nachdem auch wir derartige Gedankenspiele kurz für möglich gehalten haben, gehen wir mittlerweile nicht mehr davon aus, dass die diversen und chaotischen Aktionen Donald Trumps tatsächlich einem durchdachten großen Plan folgen. Der Grund hierfür sind die – man muss es leider so formulieren – offenkundigen intellektuellen Defizite innerhalb des engsten (Berater-)Kreises um Donald Trump, die jeden Tag sichtbarer werden. Das ist wohl der Preis dafür, dass bei der Auswahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht die Fachkompetenz an erster Stelle steht, sondern vielmehr bedingungslose Loyalität. Daher halten wir es im Grunde für ausgeschlossen, dass diese Administration tatsächlich in der Lage wäre, einen komplexen und ausgeklügelten Plan umzusetzen.
Um die aktuellen Entwicklungen einschätzen zu können, muss man aber nicht über irgendwelche „Geheimpläne“ spekulieren. Allein die aktuelle Faktenlage macht deutlich, welche tiefer liegenden Ursachen hinter all den derzeitigen Turbulenzen stecken, und vor allem auch, wie sich das Ganze vermutlich weiterentwickeln dürfte.
Hohes US-Leistungsbilanzdefizit – ein bereits Jahrzehnte andauerndes Problem
In den diversen Verlautbarungen aus dem Umfeld Donald Trumps wird immer wieder ein Argument – in unterschiedlichen Variationen – ins Feld geführt: dass nämlich das ausufernde Leistungsbilanzdefizit1 Amerikas das Resultat eines zu starken US-Dollars sei. Der aber sei nur deshalb so stark, weil er der ganzen Welt von den USA quasi kostenlos als Reservewährung zur Verfügung gestellt wird. Viele Länder haben dadurch die Möglichkeit, ihre Gelder (bzw. angehäuften Devisen-Reserven) in den USA sicher und rentierlich anzulegen. Das Ganze bedeutet – nach Trumpscher Lesart – letztlich eine höchst unfaire Behandlung der USA durch seine Handelspartner (allen voran China) und muss so schnell wie möglich beendet werden. Mit anderen Worten: Die USA müssen dafür sorgen, dass die betroffenen Länder für diesen „Vorzug“ endlich auch angemessen bezahlen – sei es in Form der angekündigten (aktuell auf Eis gelegten) Zölle, irgendwelcher anderer Abgaben oder gar durch eine Umschuldung ihrer gehaltenen US-Staatsanleihen in unverzinste sehr langlaufende Papiere des gleichen Schuldners. Das würde auf einen Schlag den Dollar abwerten, das hohe amerikanische Leistungsbilanzdefizit beseitigen und zugleich die bisher unfairen Außenhandelspraktiken beenden … so ist zumindest die Position der Trump-Administration.
Ohne an dieser Stelle bereits im Detail darauf eingehen zu wollen, was von einer solchen Sichtweise zu halten ist, zeigt bereits ein einfacher Blick auf die Fakten, dass mit der skizzierten Argumentation etwas nicht stimmt.
Die folgende Grafik macht zum einen deutlich, dass die USA aktuell tatsächlich ein unglaublich großes Leistungsbilanzdefizit von fast 1,2 Billionen US-Dollar für 2024 aufweisen, zum anderen aber auch, dass schon seit rund 40 Jahren ein mehr oder weniger großes Defizit besteht.
In diesem Zeitraum ist die US-Währung (im Vergleich zum Euro) aber per saldo nicht stärker, sondern schwächer geworden, wie die nachfolgende Grafik zeigt.
Die Ursache des über Jahrzehnte gewachsenen amerikanischen Leistungsbilanzdefizits kann somit nicht eine zu starke US-Währung sein, sondern muss andere Gründe haben.
Zwar wirkt eine Dollar-Abwertung kurzfristig tatsächlich einem Leistungsbilanzdefizit entgegen – weil sie ceteris paribus die Exporte begünstigt und die Importe dämpft –, langfristig aber löst sie nicht das grundsätzliche Problem, dass Amerika zu viel importiert und zu wenig exportiert. Dafür bräuchte es nach Ansicht vieler Ökonominnen und Ökonomen eine Verringerung der Inlandsausgaben im Verhältnis zum Einkommen und eine Erhöhung der nationalen Sparquote.
Richtiges Ziel …
Es lässt sich daher festhalten: Die USA haben ein großes Leistungsbilanzproblem und es ist nachvollziehbar, dass die Trump-Administration es lösen will.
Wie gegensätzlich die gesamte globale Außenhandelssituation derzeit ist, wird deutlich, wenn man die Leistungsbilanzsalden der wichtigsten Industriestaaten miteinander vergleicht.
Die Grafik zeigt, dass die USA das einzige wirklich große Industrieland sind, das ein so riesiges Defizit aufweist. Alle anderen relevanten Industriestaaten bzw. die Euro-Zone als Ganzes weisen dagegen Überschüsse aus. Diese Unwucht im internationalen Handel – ein Staat hat ein riesiges Defizit, alle anderen Überschüsse – wird auch von vielen unabhängigen Ökonomen bereits seit Jahrzehnten als Problem gesehen. Manche sehen sie sogar als eine zentrale Ursache einer Reihe von Wirtschaftskrisen in Europa und weltweit. Von daher ist es aus volkswirtschaftlicher Perspektive durchaus ratsam, diese Ungleichgewichte endlich beseitigen zu wollen.
… falsche Methoden
Was kritisiert wird, ist also nicht das Ziel an sich, sondern die brachialen und fragwürdigen Methoden, mit denen es seitens der USA durchgesetzt werden soll. Den Abbau seines eigenen extrem hohen Leistungsbilanzdefizits dadurch herbeiführen zu wollen, dass man einen globalen Zollkrieg anzettelt und seine Handelspartner unter Druck setzt – ihnen sogar mehr oder weniger unverhohlen droht! –, wird von nahezu allen Fachleuten als extrem kontraproduktiv erachtet – auch und besonders für die USA selbst. Die ergriffenen und noch geplanten Maßnahmen schwächen zwar kurzfristig die US-Währung – was man derzeit ja auch beobachten kann –, aber die dadurch ausgelösten negativen Effekte auf die eigene Wirtschaft sind derart gravierend, dass sie etwaige positive Wirkungen auf die Leistungsbilanzsalden weit übersteigen; angefangen beim Risiko einer wieder steigenden US-Inflation über die Schwächung der heimischen Wachstumskräfte bis hin zum Verlust des Vertrauens in die amerikanische Zahlungswilligkeit.
Nicht wenige Ökonominnen und Ökonomen dürften (fast schon verzweifelt) versucht haben, Donald Trump diese Zusammenhänge zu erklären und ihm klarzumachen, dass er mit solchen Methoden auf dem falschen Dampfer unterwegs ist und den Vereinigten Staaten und seiner Bevölkerung damit am Ende am meisten schadet. Letztlich zur Raison gebracht wurde Donald Trump aber nicht von den Fachleuten – denen er sich ohnehin überlegen fühlt –, sondern von den Finanzmärkten.
Über die Verluste an den Aktienmärkten aufgrund der Trumpschen Politik wurde bereits ausführlich berichtet. Weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit – aufgrund seines deutlich größeren Volumens aber letztlich relevanter – waren die extrem negativen Reaktionen am US-Anleihemarkt. Vor allem das hat Trump dazu gebracht, seine vorher im Rosengarten des Weißen Hauses großspurig verkündeten Zollerhöhungen („Liberation Day“) zurückzunehmen und vorerst für 90 Tage auszusetzen.
Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Renditen amerikanischer Staatsanleihen mit 10 und 30 Jahren Restlaufzeit. Insbesondere der kräftige Renditeanstieg bei den Dreißigjährigen als Folge von Trumps Zollankündigungen ist bemerkenswert, gelten deren Renditen doch als relativ träge. Aber Anfang April zogen sie binnen drei Tagen um rund 60 Basispunkte (= 0,6 Prozentpunkte) an. Einen solchen großen (Rendite-)Sprung nach oben in so kurzer Zeit hat es bei US-Anleihen seit über vierzig Jahren nicht mehr gegeben.
Damit im Zusammenhang stehend: Noch gravierender ist die Entwicklung der in der nachfolgenden Grafik dargestellten Preise2 für auf US-Anleihen laufende Kreditausfallversicherungen.
Aus diesen sogenannten Credit-Default-Swap-Sätzen lassen sich implizite Wahrscheinlichkeiten errechnen, welche von den Finanzmärkten insgesamt für den Ausfall von US-Staatsanleihen unterstellt werden. Der entsprechende Wert für die USA liegt aktuell bei knapp einem Prozent und damit nur wenig unter dem Wert Italiens.
Für ein hochverschuldetes Land wie die USA, das bis dato von den Märkten praktisch als ausfallrisikofrei angesehen wurde, ist ein solcher Wert ein ernsthaftes Alarmsignal. Denn immer mehr Investorinnen und Investoren stellen sich die Frage: Ist Amerika noch ein sicherer Hafen?
Warum aber die Märkte derart aufgeschreckt reagiert haben, wird deutlich, wenn man die Zusammenhänge etwas genauer beleuchtet. Zugleich wird damit auch klar, wie absurd und kontraproduktiv die bisherigen Aktionen Trumps sind – und warum sie letztlich scheitern werden.
Das eigentliche Problem der Vereinigten Staaten von Amerika
Was ein Leistungsbilanzdefizit für ein Land wirklich bedeutet, führt man sich am besten vor Augen, indem man unterstellt, dass es eine ausgeglichene Bilanz aufweist. In einem solchen Fall sind die Exporte von Gütern und Dienstleistungen wertgleich mit den Importen.3 Das bedeutet, dass das Land in der Lage ist, seine Importe mit den Einnahmen aus den Exporten zu bezahlen. Importiert es aber mehr, als es exportiert, hat es – wie die USA – ein Leistungsbilanzdefizit, reichen die Einnahmen aus den Exporten nicht aus, um die Importe vollumfänglich zu bezahlen. Das Land muss sich daher verschulden. Wenn die USA – wie zuletzt – ein Leistungsbilanzdefizit von knapp 1,2 Billionen US-Dollar ausweisen, bedeutet das zugleich, dass sich das Land um genau diesen Betrag im Ausland (netto) verschuldet hat, d. h., dass das Ausland entsprechende Schuld- und Anteilsscheine als Bezahlung akzeptiert hat. In der Sprache des Außenhandels nennt sich das Ganze dann Kapitalbilanzüberschuss, der einem Leistungsbilanzdefizit in gleicher Höhe gegenübersteht.
Die beschriebene Situation als unfaire Handelspraxis anzusehen, dazu bedarf es wirklich eines Donald Trump. Eine vergleichbare Situation wäre es, wenn Sie in Ihrem Supermarkt einkaufen wollen, aber leider Ihre Geldbörse vergessen haben. Da Ihnen der Händler vertraut, händigt er Ihnen den Einkauf trotzdem aus und Sie dürfen anschreiben lassen. Eine Woche später beschweren Sie sich über das unfaire Verhalten des Händlers, der Ihnen den Betrag gestundet hat, anstatt Ihnen im Gegenzug etwas abzukaufen.
Geht man nun realistischerweise davon aus, dass das US-Leistungsbilanzdefizit nicht über Nacht verschwindet und es in einer ähnlichen Größenordnung auch im kommenden Jahr bestehen wird, stellt sich natürlich die Frage, ob das Ausland angesichts der massiven Attacken, die Donald Trump gegen seine Handelspartner führt, bereit ist, die Schuldscheine (sprich: Staatsanleihen) der USA weiterhin als Bezahlung zu akzeptieren. Mit anderen Worten: ob es bereit ist, das amerikanische Leistungsbilanzdefizit auf Dauer weiter zu finanzieren. Diese Bereitschaft dürfte seit Trumps Amtsantritt spürbar nachgelassen haben.
Wie alle Schulden, die Jahr für Jahr gemacht werden, kumulieren sich auch die Auslandsschulden eines Landes. Für die USA belaufen sie sich aktuell auf ca. 62 Billionen US-Dollar. Dem gegenüber stehen Auslandsforderungen in Höhe von rund 38 Billionen US-Dollar. Der sich daraus ergebende Saldo (Net International Investment Position bzw. Netto-Auslandsposition) beträgt -24 Billionen US-Dollar, wie in der folgenden Grafik dargestellt. Dieser Saldo entspricht gut 80 % des US-Bruttoinlandsprodukts.
Zu den Auslandsforderungen zählen z. B. US-Investitionen in ausländische Unternehmen, Immobilien, Bankeinlagen oder Wertpapiere. Spiegelbildlich stellen entsprechende ausländische Investitionen in den USA Auslandsverbindlichkeiten der Vereinigten Staaten dar.
Zu den Auslandsverbindlichkeiten zählen auch US-Staatsanleihen im Umfang von rund 8,5 Billionen US-Dollar, die von ausländischen Gläubigern gehalten werden. Die größten Gläubiger finden Sie in der nachfolgenden Grafik.
Das besondere Problem der USA besteht nun darin, dass der Staat nicht nur im Ausland verschuldet ist, sondern in deutlich stärkerem Maße auch im Inland, weswegen man auch von einem „Zwillingsdefizit“ spricht. Zu den erwähnten 8,5 Billionen US-Dollar Auslandsschulden kommt auch noch eine Verschuldung von rund 27 Billionen Dollar gegenüber inländischen Gläubigern, wie z. B. der US-Notenbank Fed, der Sozialversicherung oder privaten US-Investoren. Alle Staatsschulden zusammen belaufen sich auf ca. 35,5 Billionen US-Dollar, was gut 120 % des US-BIP ausmacht. Das liegt erheblich über der durchschnittlichen Verschuldungsquote aller Länder der Euro-Zone in Höhe von rund 81 %.
Das besondere Privileg, eine Weltreservewährung anbieten zu können
Die spezielle Situation der USA besteht nun darin, dass sie Anbieter der sogenannten „Weltreservewährung“ sind, also genau das, was von der Trump-Administration immer wieder beklagt wird. Der Status der Weltreservewährung bedeutet aber, dass ein Land die Währung, auf welche all seine Schulden lauten, selber drucken kann und die Gläubiger-Staaten das auch (noch?) akzeptieren. Die vermeintliche Dienstleistung, allen eine Weltreservewährung zur Verfügung zu stellen, für die Trump das Ausland zur Kasse bitten will, ist in Wahrheit ein unglaubliches Privileg, das es den USA seit Jahrzehnten erlaubt, über seine Verhältnisse zu leben, d. h. mehr zu konsumieren als zu produzieren. Man kann davon ausgehen, dass es in den USA durchaus Kreise gibt, die sich dessen bewusst sind und realisieren, dass Donald Trump aktuell dabei ist, dieses Privileg ernsthaft zu gefährden.
Was ein solches Privileg tatsächlich wert ist, lässt sich nur schwer schätzen. Der Wert wird in die Milliarden, wenn nicht sogar in die Billionen US-Dollar gehen. Donald Trump tritt derzeit somit einigen Leuten auch finanziell ganz heftig gegen die Schienbeine.
Neue Finanzkrise eher unwahrscheinlich
Wenn man sich diese Zusammenhänge in all ihren Konsequenzen vor Augen führt, wird klar, warum die Finanzmärkte so reagiert haben, wie man es jüngst beobachten konnte. Eigentlich hätten die Reaktionen insbesondere bei den Anleihen sogar noch viel stärker ausfallen müssen.
Die Tatsache, dass genau das nicht geschehen ist, halten wir für einen deutlichen Hinweis, dass die Finanzmärkte – Stand heute – in ihrer Gesamtheit nicht damit rechnen, dass Donald Trump das Weltfinanzsystem zum Einsturz bringen wird, sondern dass er auf welche Weise auch immer eingehegt wird. Dieser Einschätzung schließen wir uns an. Auch in der aktuellen Situation werden die wirtschaftlichen Zwänge greifen und die ökonomische Rationalität wird sich durchsetzen. Aus unserer Sicht wird es keine Finanzkrise „à la Trump“ geben. Letztlich gilt auch hier der bekannte Spruch des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton: „It’s the economy, stupid“.4