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Erben und Vererben ist hochemotional – warum wir das Thema nicht verdrängen sollten

Karl Matthäus Schmidt
,
CEO und Gründer der Quirin Privatbank AG
5
Minuten

Kennen Sie das auch? Wartezimmer-Aufenthalte sind prädestiniert dafür, über alles nachzudenken, was man eigentlich längst erledigt haben wollte: die Steuererklärung, Fitnessstudio-Besuche, den Keller aufräumen. Mir geht es öfter so und neulich musste ich an einen länger zurückliegenden Arztbesuch denken. Während ich dort wartete, klingelte mein Handy. Ein älterer Mandant war dran: „Herr Schmidt, Sie hatten doch mal gesagt, ich sollte mich um mein Testament kümmern …“ Ich musste schmunzeln, denn dieser Anruf passte perfekt zu meinen eigenen Gedanken. Der Mann erzählte mir im Nachgang von seiner Immobilie, der Patchworkfamilie und einer geplanten Schenkung an die Nichte – gleichzeitig gestand er, wie schwer ihm die Gespräche darüber fallen. Zu endgültig, zu belastend.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Erben und Vererben ist emotional aufgeladen – Dankbarkeit trifft auf Ängste.
  • Schenkungen werden positiver wahrgenommen als Erbschaften.
  • Viele Deutsche schieben das Thema noch vor sich her.
  • Reden hilft – wer aktiv gestaltet, schafft Klarheit.

Der Anruf fiel mir wieder ein, weil sich solche Empfindungen auch in einer neuen Studie finden, die wir als Quirin Privatbank kürzlich in Auftrag gegeben haben. Sie zeigt: Beim Erben und Vererben geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Emotionen. Befragt wurden 2.668 Deutsche, repräsentativ nach Alter und Geschlecht, mit Fokus auf die Gefühlswelt. Weil ich das Thema – auch aus eigener Erfahrung – sehr wichtig finde und weil die Studienergebnisse zum Nachdenken anregen, möchte ich die wichtigsten Erkenntnisse hier mit Ihnen teilen.

Emotionen beim Erben: ein ambivalentes Bild

Ganz allgemein werden bei einem Großteil der Befragten beim Thema Erben und Vererben zunächst einmal eher neutrale Gefühle geweckt (55 %). Jede(r) Fünfte verbindet positive Emotionen damit – das restliche Viertel ist negativ gestimmt oder kann es nicht beurteilen. Ehrlich gesagt hätte ich hier eine noch stärkere Negativtendenz vermutet, so eng, wie das Thema mit Ängsten und Unsicherheit verknüpft ist. Neutrale Gefühle führen aus meiner Sicht zu mehr Aufgeschlossenheit. Das ist schon mal gut so.  

Konkret auf das Erben angesprochen, wird am häufigsten Dankbarkeit (61 %) empfunden, gefolgt von finanzieller Erleichterung (45 %). Aber wenig überraschend spielen auch Traurigkeit (44 %) und die Angst vor dem Tod (27 %) eine große Rolle. Besonders auffällig: Frauen empfinden das Thema emotionaler – jede Zweite ist beim Gedanken an eine Erbschaft traurig. Bei den Männern sind es nur 38 %. Auch beim Vererben sind die Gefühle gemischt: Viele empfinden es als beruhigend, damit für andere zu sorgen (45 %), und sind dankbar (40 %). Gefühle wie Traurigkeit oder Angst vor dem Tod sind auch deutlich präsent, fallen aber – für mich überraschend – doch deutlich zurück (25 bis 30 %).

Schenkungen – der emotionale Unterschied

Wenig überraschend schneiden Schenkungen emotional deutlich besser ab – zumindest bei den Beschenkten. Schließlich sind sie nicht mit dem Verlust eines nahestehenden Menschen verbunden. 61 % verbinden mit einer Schenkung positive Gefühle, beim Gedanken an ein Erbe sind es nur 41 %. Bei denjenigen, die etwas hinterlassen, sind die positiven Gefühle beim Schenken und Vererben ähnlich gewichtet (rund 40 %). Hier hätte ich aber tatsächlich höhere Werte zugunsten des Schenkens erwartet. Denn wer zu Lebzeiten Vermögen weitergibt, löst in aller Regel Dankbarkeit aus, fördert Gespräche und umgeht erst einmal die Finalität, die mit dem Tod verbunden ist. Natürlich können positive Gedanken an Schenkungen auch dadurch gedämpft werden, dass sie finanziell zu Lebzeiten einfach noch nicht gut möglich sind. Dennoch: Freude zu schenken im Hier und Jetzt, dazu kann ich nur motivieren. Ich kenne viele Fälle, in denen alle Beteiligten etwas davon hatten. Und steuerlich kann es sich auch noch lohnen: Regelmäßige Schenkungen innerhalb der Freibeträge senken die spätere Erbschaftssteuer.

Das große Aufschieben

Während die Themen Angst und Tod bei den Assoziationen, die das Thema Erben und Vererben weckt, nicht an vorderster Stelle stehen, stellen sie aber das größte Hemmnis dar, sich tatsächlich aktiv damit zu beschäftigen.

Mehr als 60 % sehen das so, jede(r) Dritte schiebt das Thema auf Anfrage vor sich her. Für ein weiteres Drittel spielt es noch keine Rolle, was bei manchen nur eine Variante des Aufschiebens sein dürfte. Selbst bei den über 50-Jährigen haben sich weniger als die Hälfte schon ernsthaft mit Nachlassthemen beschäftigt.

Dazu passen die Antworten auf die konkrete Frage, ob schon einmal im Familienkreis darüber gesprochen wurde. Das war nämlich nur bei 56 % der Deutschen der Fall. Auch diese Quote müsste aus meiner Sicht deutlich höher sein, auch wenn ich verstehen kann, dass sich viele vor Konflikten in der Familie fürchten (63 %). Auf den ersten Blick ist es etwas verwunderlich, dass sich diejenigen, die schon darüber gesprochen haben, mehr um Konflikte sorgen als die, die es noch nicht getan haben. Das dürfte daran liegen, dass Konflikte eben im Gespräch hochgekommen sind. Der Punkt ist aber, dass diese Konflikte andernfalls nur später stattfinden würden und dann ohne den Erblasser gelöst werden müssten. Also, meine Empfehlung ist: trotzdem sprechen. Ermutigend ist, dass die Gespräche, die stattfinden, überwiegend als positiv empfunden werden.

Konfliktpotenzial wird übrigens vor allem auch wegen eines fehlenden Testaments befürchtet. Dass diese Sorge berechtigt ist, zeigt ein Ergebnis aus einer anderen Studie, die wir 2024 in Auftrag gegeben haben: Rund 70 % haben kein Testament. Diese Zahl war für mich damals die herausstechendste.

Reden ist Gold – auch beim Thema Erbschaft

Es gibt also noch viel Aufholpotenzial bei der Auseinandersetzung mit Erb- und Schenkungsfragen. Spätestens ab 50 sollten Sie sich damit befassen, vor allem dann, wenn größere Vermögenswerte da sind.

Aber auch jüngere Paare sind gefordert, z. B. wenn sie keine Kinder haben, dafür aber eine Immobilie. Stirbt der Partner, ziehen womöglich die Schwiegereltern als (Mit-)Erben mit ein – das ist sicher nicht für alle Menschen Anlass zur Freude.

Eine weitere spannende Zahl in dem Zusammenhang: 77 % finden, dass die Initiative zum Gespräch vom Erblasser ausgehen sollte. Nur 9 % sehen hier die Erben in der Pflicht. Ich weiß, dass es für potenzielle Erbinnen und Erben oft schwer ist, solche Gespräche anzuregen, Vollmachtserteilungen bieten aber z. B. eine gute Gelegenheit.

Warum es sich lohnt, das Thema anzugehen

Letztlich weiß ich aus meiner familiären Erfahrung und aus der Beratungspraxis: Wer sich aktiv mit Erben und Vererben beschäftigt, tut sich und seinen Nächsten einen Gefallen. Wer frühzeitig plant, schafft Frieden und Sicherheit – und vermeidet Stress in ohnehin emotional belastenden Situationen. Und wer schenkt, erlebt die Freude beim Geben mit – nicht erst aus dem Jenseits.

Deshalb nochmal mein Wunsch: Sprechen Sie. Auch Kinder dürfen fragen – ein Gespräch über Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen hilft beiden Seiten. Ich erinnere mich an eine Familie, die sich an Weihnachten zusammensetzte, um auch über Zukunftsfragen zu sprechen. Es war nicht leicht, aber es hat Vertrauen geschaffen.

Natürlich sind solche Gespräche eine andere Herausforderung als eine Steuererklärung oder ein unaufgeräumter Keller – wer die Hürde überspringt, ist aber am Ende umso erleichterter.

Wenn Sie dabei mit Blick auf die Vermögenswerte Unterstützung brauchen, stehen Ihnen unsere Beraterinnen und Berater sehr gern zur Seite – inklusive eines weitreichenden Netzwerks, falls Sie rechtlichen Rat benötigen. Nachlassthemen sollten immer Gegenstand einer sinnvollen Zukunftsplanung sein.

Was Sie mitnehmen sollten:

  • Erben und Vererben ist kein reines Sachthema. Es ist ein Beziehungsthema. Und genau deshalb sollten wir uns trauen, darüber zu sprechen – beizeiten, offen, ehrlich.
  • Reden verhindert Missverständnisse. Nur gut die Hälfte spricht aber überhaupt mit der Familie.
  • Nicht aufschieben: Je früher Sie planen, desto besser. Jede(r) Dritte verdrängt das Thema noch.
  • Wer ein Testament erstellt, kann Konflikten entgegenwirken und entlastet dadurch seine Angehörigen enorm.
  • Schenken statt warten: Schenkungen machen Freude, helfen steuerlich – und fördern offene Gespräche.

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Dass das Thema Erben und Vererben von vielen Menschen verdrängt wird, hat auch zur Folge, dass es hier große Wissenslücken gibt, die in manchen Fällen schmerzhaft werden können, emotional wie auch finanziell. In der Podcast-Folge Nr. 228 „Richtig erben und vererben – worauf kommt es wirklich an?“ werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie der Umgang mit dem Thema Erben und Vererben leichter fallen kann, wie gut die Deutschen tatsächlich vorgesorgt haben und worauf es bei der Regelung des eigenen Nachlasses wirklich ankommt.

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Über den Autor
Karl Matthäus Schmidt

Karl Matthäus Schmidt ist Gründer und CEO der Quirin Privatbank. Er ist Banker in sechster Generation und revolutionierte bislang dreimal den deutschen Bankenmarkt. Mit 25 Jahren gründete er den ersten Onlinebroker Deutschlands, Cortal Consors, den er nach dem Börsengang an eine französische Großbank verkaufte. 2006 brachte er Deutschlands erste unabhängig beratende Bank, die heutige Quirin Privatbank, auf den Markt. Sie verzichtet auf die Annahme von Provisionen und kann Anlegerinnen und Anleger deshalb unabhängig beraten. 2013 gründete Schmidt den ersten Robo-Advisor Deutschlands, quirion, um allen Menschen einen Zugang zu einer guten und günstigen Geldanlage zu ermöglichen. Seine Vision ist es, mehr Menschen in Deutschland zu besseren Anlegern zu machen. Als Vorstand verantwortet er unter anderem die Bereiche Privatkundengeschäft und Anlagemanagement, außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender der quirion AG. Der gebürtige Franke ist verheiratet, Vater von fünf Kindern und lebt in seiner Wahlheimat Berlin und Brandenburg.

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