Verbesserung von Anlageentscheidungen …
Wenn damit gemeint ist, ob durch KI mehr Anlegerinnen und Anlegern dabei geholfen werden kann, klüger zu investieren, dann ist unsere Antwort auf diese Frage ein eindeutiges Ja. Es gibt eine umfangreiche wissenschaftliche Forschung darüber, wie Finanzmärkte funktionieren. Die daraus resultierenden Studienergebnisse wurden zu klaren Grundsätzen verdichtet, was vernünftige Anlageentscheidungen ausmacht und was nicht. Eine entsprechende KI hat direkten Zugriff auf all diese Forschungsergebnisse und kann sie allen Interessierten unmittelbar zur Verfügung stellen. Es besteht daher eine realistische Chance, dass in Zukunft tatsächlich auf Basis der durch KI bereitgestellten Erkenntnisse klügere Anlageentscheidungen getroffen werden. Selbst wenn dadurch Anlegerinnen und Anleger lediglich vor den gröbsten Fehlern bei der Geldanlage bewahrt werden, ist schon viel gewonnen.
… versus Kursprognosen
Vermutlich ist es aber nicht diese Art des Einsatzes von KI, die die meisten im Sinn haben, wenn sie Künstliche Intelligenz in Verbindung mit Geldanlage bringen. Stattdessen geht es fast immer – übrigens auch in vielen Diskussionen mit unseren Kundinnen und Kunden – um die Frage, ob man mittels KI nicht doch vielleicht in der Lage ist, die Aktien, die Finanzinstrumente oder die Anlagesegmente zu identifizieren, die zukünftig eine überdurchschnittlich hohe Wertentwicklung versprechen.
Wie regelmäßige Leserinnen und Leser unseres Logbuchs vielleicht schon vermuten werden, sind wir in dieser Hinsicht sehr skeptisch; und zwar vor allem aus zwei Gründen: Erstens gibt es bereits aktiv gemanagte Investmentfonds, die versuchen, ihre Wertentwicklung durch den Einsatz von KI zu steigern – bisher allerdings nur mit sehr mäßigem Erfolg. Laut einer Studie von Scope vom Juli dieses Jahres1 hat es aus einer Gruppe von insgesamt 28 KI-gesteuerten Fonds nur ein Drittel bzw. die Hälfte dieser Fonds (je nach Betrachtungszeitraum) geschafft, die Durchschnittswerte ihrer Vergleichsfonds zu übertreffen (siehe nachfolgende Übersicht). Wohlgemerkt: Wir sprechen hier lediglich von der durchschnittlichen Wertentwicklung und nicht von der Performance der Top-Fondsprodukte aus der Vergleichsgruppe.
Ähnliche Quoten würden sich im Übrigen auch ergeben, wenn man die Erfolge einer per Zufallsgenerator zusammengestellten Gruppe von Fonds messen würde. Auch wenn der derzeit verfügbare Betrachtungszeitraum relativ kurz ist, die Anzahl der betrachteten Fonds zudem sehr überschaubar ist und die bislang erzielten Ergebnisse daher nur bedingt aussagekräftig sind, kann man doch als Resümee festhalten: Diejenigen Fonds, die bereits versuchen, mit Unterstützung von KI ihre Anlageentscheidungen bzw. -ergebnisse zu verbessern, sind damit bis dato nicht sonderlich erfolgreich. Zudem kann man die Tatsache, dass der Anteil erfolgreicher KI-Fonds mit zunehmender Anlagedauer deutlich unter die 50 %-Marke sinkt, durchaus als ein Indiz dafür werten, dass von der KI womöglich sogar systematische Fehlentscheidungen getroffen wurden.
Auch KI kämpft mit dem grundsätzlichen Problem jeder Kursprognose
Der bisherigen Argumentation lässt sich nun mit einer gewissen Berechtigung entgegenhalten, dass die beschriebenen (Nicht-)Erfolge von KI-Anwendungen bei der Geldanlage ja nicht immer auf dem aktuellen Stand verharren müssen. Die Forschung schläft nicht und die Leistungsfähigkeit von KI-Anwendungen verbessert sich derzeit in einem rasanten Tempo, so dass es mit Hilfe der KI vielleicht doch irgendwann möglich sein wird, den Markt zu schlagen.
Warum wir trotz allen Fortschritts skeptisch bleiben, hat einen weiteren Grund, der mehr konzeptioneller und grundsätzlicher Natur ist. Um unsere Argumentation dazu deutlich zu machen, stellen wir uns eine imaginäre KI vor, die tatsächlich in der Lage ist, regelmäßig genau diejenigen Aktien zu selektieren, die sich in (naher) Zukunft überdurchschnittlich gut entwickeln werden.2 Und lassen Sie uns des Weiteren überlegen, wozu sie dafür in der Lage sein müsste.
Zunächst müsste sie die Entwicklung des unternehmerischen Umfeldes sämtlicher in Betracht kommender Aktien – wie Konkurrenzsituation, Branchenentwicklung, makroökonomisches Umfeld, technischer Fortschritt usw. – korrekt prognostizieren. Verkürzt gesagt: KI müsste die Entwicklungen sämtlicher Unternehmen korrekt antizipieren, was angesichts der ungeheuren Komplexität moderner Wirtschaftssysteme und der verschiedenartigen (sich teils schnell ändernden) Einflussfaktoren bereits eine wahre Herkulesaufgabe wäre.
Doch damit nicht genug: „Ein gutes Unternehmen ist noch lange keine gute Aktie.“ Dieser alte Börsenspruch, den man der Investmentlegende Peter Lynch zuschreibt, verweist auf die zweite Herausforderung, die eine erfolgreiche KI zu bewältigen hätte: Sie müsste nämlich auch noch in der Lage sein, herauszufinden, ob und in welchem Umfang die positiv prognostizierten unternehmerischen Entwicklungen bereits im Kurs der entsprechenden Aktien vorweggenommen wurden. Denn nur Aktien derjenigen Unternehmen, bei denen das noch nicht bzw. noch nicht in vollem Umfang geschehen ist, kommen als zukünftige „Überflieger-Aktien“ überhaupt in Frage. Um aber das zu leisten, müsste die KI in die Köpfe sämtlicher Kapitalmarktteilnehmer und -teilnehmerinnen schauen können. Das jedoch wird zumindest auf absehbare Zeit nicht (und hoffentlich auch niemals) der Fall sein.
Halten wir fest: Wenn es um die Auswahl von in der Zukunft erfolgreichen Aktien (oder anderen Finanzinstrumenten) geht, hat man es grundsätzlich mit zwei Prognoseebenen zu tun. Zum einen mit der Prognose der unternehmerischen Entwicklung einschließlich des entsprechenden Umfeldes und zum anderen mit der Prognose der Kursreaktion der Aktien auf die vorhergesehene Entwicklung.
Selbst wenn es einer KI gelingen sollte – wovon wir derzeit noch meilenweit entfernt sind –, Ersteres zu leisten, wird sie spätestens auf der zweiten Ebene scheitern: Die aggregierte Intelligenz des Marktes wird der Künstlichen Intelligenz eines Algorithmus stets eine Nasenlänge voraus sein … mindestens.