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Zoll-Chaos und Außenhandelsstruktur

Prof. Dr. Stefan May
,
Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung
8
Minuten

Wie immer man auch zum von Donald Trump angezettelten Zollstreit stehen mag, eines hat er erreicht: Der internationale Handel ist im Zentrum der Aufmerksamkeit einer interessierten Öffentlichkeit angekommen. Mittlerweile werden Außenhandelsthemen nicht mehr nur von Expertinnen und Experten diskutiert, sondern nehmen auch in der breiteren Presse einen immer größeren Rahmen ein.

Das Wichtigste in Kürze

  • Entgegen eines im Rahmen des aktuellen Zollkonflikts öfter auftretenden Irrtums ist der globale Handel kein Nullsummenspiel mit Gewinnern und Verlierern.
  • Auch wer viel mehr importiert als exportiert, wie die USA, kann wirtschaftlich sehr erfolgreich sein.
  • Die wesentlichen Antriebskräfte des globalen Handels sind – häufig unverstanden – die aus den sogenannten komparativen Kosten resultierenden Vorteile der internationalen Arbeitsteilung.
  • Die dadurch möglichen Effizienzsteigerungen waren und sind auch für den wirtschaftlichen Erfolg der USA unerlässlich – das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gütlichen Einigung im Zollkonflikt.

Zwei Missverständnisse behindern rationale Einschätzungen

Das Verständnis außenwirtschaftlicher Zusammenhänge wird häufig von zwei verbreiteten Missverständnissen erschwert, die in den unterschiedlichsten Publikationen immer wieder auftauchen. Insbesondere begünstigen sie falsche Einschätzungen der Auswirkungen eines anhaltenden Zollstreits oder gar eines Handelskrieges und darüber, wie das Ganze vermutlich ausgehen wird.

Missverständnis Nr. 1: Der internationale Handel ist ein Nullsummenspiel 

Dass es sich hierbei um eine völlig abwegige Vorstellung handelt, haben wir bereits bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich gemacht. Trotzdem wird dieses Bild immer wieder verbreitet. Die Idee dabei ist, dass es im internationalen Handel Gewinner und Verlierer gibt. Auf der Gewinnerseite befinden sich die Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen1, sprich Exportüberhängen, und auf der Verliererseite die mit Leistungsdefiziten, sprich Importüberhängen. 

Bereits ein einfacher Blick auf die Fakten zeigt, dass an dieser mehr oder weniger naiven Vorstellung vom Außenhandel etwas nicht richtig sein kann. 

Die Grafik macht deutlich, dass die USA im um China erweiterten G7-Kreis im Grunde das einzige Land sind, welches ein nennenswertes Leistungsbilanzdefizit aufweist – übrigens ein Defizit, das bereits seit Jahrzehnten besteht. Wäre das skizzierte Gewinner-Verlierer-Bild richtig, dann würde das bedeuten, dass die USA über Jahre hinweg von der ganzen Welt ausgebeutet wurden – allen voran von China und der EU. Wenn man bedenkt, welche erheblichen wirtschaftlichen Erfolge die USA in den letzten Jahrzehnten erzielt haben und wie konsequent und manchmal auch rücksichtslos Amerika in der jüngeren Geschichte seine globalen Interessen durchgesetzt hat, ist eine solche Sichtweise geradezu absurd; auch wenn es genau das ist, was Donald Trump immer wieder behauptet.

Was die durch die Abbildung skizzierte Außenhandelssituation wirklich bedeutet, wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Leistungsbilanzdefizit Ausdruck der Tatsache ist, dass das entsprechende Land mehr importiert, als es exportiert. Daher reichen die Einnahmen aus den Exporten nicht aus, um die Importe vollständig zu bezahlen. Das Land muss sich darum (in Höhe des Defizits) verschulden. Wenn die USA – wie zuletzt – ein Leistungsbilanzdefizit von rund 1,2 Billionen US-Dollar aufweisen, bedeutet das zugleich, dass sie sich um genau diesen Betrag im Ausland (netto) verschuldet haben, d. h., dass das Ausland entsprechende Schuld- und Anteilsscheine als Bezahlung akzeptiert hat. In der Sprache des Außenhandels nennt sich das Ganze dann Kapitalbilanzüberschuss. Jedes Land, welches mehr importiert als exportiert, weist daher zwingend einen Kapitalbilanzüberschuss in gleicher Höhe auf – und zwar aus dem einfachen Grund, weil seine Handelspartner die gelieferten Waren und Dienstleistungen nicht einfach verschenken.

Eine solche Situation nun als unfaire Handelspraxis oder gar Ausbeutung anzusehen, ist wirklich abenteuerlich. Letztlich dürfte es aber auch in den USA in den verantwortlichen Positionen genügend Leute geben, denen diese Zusammenhänge klar sind.

Missverständnis Nr. 2: Länder exportieren das, was sie haben (und können), und importieren das, was sie nicht haben (und nicht können)

Diese Vorstellung ist vermutlich noch weiter verbreitet als die vom Außenhandel als Nullsummenspiel. Immerhin ist sie logisch, und wie sich noch zeigen wird, hat sie auch einen wahren Kern. Warum sie letztlich doch irreführend ist, wird klar, wenn man sich die Handelsbeziehungen zwischen den wichtigsten Ländern und Ländergruppen einmal etwas genauer ansieht.

Fast identische Warengruppen bei Exporten und Importen  

Die folgenden Grafiken zeigen zunächst die wichtigsten Warengruppen sowohl auf der Export- als auch der Importseite für die USA, China, die EU und Japan.

Ohne hierzu nun im Einzelnen auf die genauen Zahlen eingehen zu müssen, unterstreichen alle vier Darstellungen eine erstaunliche Eigenschaft des internationalen Handels: nämlich, dass alle Länder im Wesentlichen dieselben Gütergruppen exportieren, die sie auch importieren. Einzige Ausnahme stellen die Rohstoffe dar, für die zwangsläufig gelten muss, dass sie von rohstoffarmen Ländern – wie beispielsweise Deutschland – zwingend importiert werden müssen.  

Der Grund für diese wirklich bemerkenswerte Ähnlichkeit der Export- und Importwaren ist die Tatsache, dass in entwickelten Volkswirtschaften das vorrangige Motiv des Handels zwischen den Ländern die internationale Arbeitsteilung ist, genauer: die sogenannten komparativen Kostenvorteile.2

Von Rohstoffen abgesehen – die, wie bereits erwähnt, eine Ausnahme darstellen, weil für sie die skizzierte „naive“ Vorstellung der Außenhandelsmotive tatsächlich auch gilt – geht es also im internationalen Handel im Wesentlichen nicht um das Bild „Was hat der eine, was der andere nicht hat“, sondern um Effizienzsteigerungen durch internationale Arbeitsteilung.

Dies unterstreicht den Schaden – auch und vor allem für die amerikanische Volkswirtschaft –, den Donald Trump anrichten würde, sollte er tatsächlich Zölle in der angedachten Höhe durchsetzen: Der Handel mit den USA käme dadurch praktisch zum Erliegen und sämtliche Effizienzgewinne der internationalen Arbeitsteilung würden zunichte gemacht. Diese Einsicht dürfte nach unserer Einschätzung auch letztlich in der US-Administration die Oberhand gewinnen.

Fast dieselben Handelspartner bei Exporten und Importen

Die Tatsache, dass die treibenden Kräfte hinter dem internationalen Handel komparative Kostenvorteile bzw. das Streben nach effizienter internationaler Arbeitsteilung sind, impliziert weitere bemerkenswerte Besonderheiten der globalen Handelsverflechtungen. Hierzu betrachte man die folgenden vier Grafiken, welche für die USA, China, die EU und Japan die prozentualen Anteile der wichtigsten Handelspartner sowohl auf der Export- als auch auf der Importseite darstellen.

Die Grafiken zeigen zwei überraschende Sachverhalte. Zum einen, dass der Löwenanteil des internationalen Handels zwischen Ländern stattfindet, die einen relativ ähnlichen Industrialisierungsgrad aufweisen (markanteste Ausnahme: China), und zum anderen, dass die Handelspartner auf der Export- und der Importseite im Wesentlichen dieselben sind. Beides belegt, dass die verbreitete und naive Vorstellung der Außenhandelsmotivation irreführend ist. Denn in diesem Fall würden vor allem Länder miteinander Handel treiben, die sehr unterschiedlich sind. Genau das aber ist nicht der Fall. Der intensivste Handel findet überwiegend zwischen Ländern statt, die sich sehr ähnlich sind. Man nehme als Beispiel die Europäische Union, deren wichtigster Handelspartner die USA sind. Beide Regionen sind sich in ihren wirtschaftlichen Grundstrukturen ähnlich – bei allen Unterschieden, die es ansonsten geben mag. Der Handel zwischen wirtschaftlich fast gleichartigen Ländern macht aber nur Sinn, wenn die zugrundeliegende Motivation hauptsächlich in komparativen Kostenunterschieden liegt und eben nicht darin, dass der eine etwas hat, was dem anderen fehlt.  

Auch diese Einsicht untermauert die Überzeugung, dass eine gütliche Einigung für alle Parteien des Zollstreits, insbesondere auch für die USA, der Königsweg wäre. Von daher gehen wir weiterhin davon aus, dass sich die Vernunft durchsetzt, die USA von ihren martialischen Zollraten ablassen werden und es vernünftige Handelsabkommen geben wird.

Fazit

  • Für die amerikanische Regierung ist das eigene Handels- bzw. Leistungsbilanzdefizit ein Beleg, dass die USA der große Verlierer des Welthandels sind.
  • Diese Sicht unterstellt aber fälschlicherweise, dass der internationale Handel ein Nullsummenspiel ist – und sie ignoriert vor allem, dass sich die USA trotz des Defizits in den letzten Jahrzehnten zur Wirtschaftsmacht Nr. 1 aufgeschwungen haben.
  • Diese Position haben die Amerikaner auch dem globalen Handel sowie der damit verbundenen internationalen Arbeitsteilung zu verdanken – und nicht zuletzt auch der Bereitschaft des Auslandes, den USA Geld zu leihen.
  • Sollten Trump & Co. am Ende tatsächlich bei ihren extremen Zöllen bleiben, käme der Handel mit den USA praktisch zum Erliegen und die Effizienzgewinne der internationalen Arbeitsteilung würden zunichtegemacht. Die USA hätten dabei mit den größten Schaden.
  • Daher gehen wir davon aus, dass es letztlich auch mit der EU und China zu einer Einigung im Zollstreit kommt.
  • Das wird die Finanzmärkte von einem großen Unsicherheitsfaktor befreien und könnte kurzfristig womöglich sogar zu einem Kursfeuerwerk bei Aktien führen.

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Kurz nachdem Donald Trump Anfang April den ersten ganz großen Zoll-Hammer ausgepackt hat, haben Karl Matthäus Schmidt und Prof. Dr. Stefan May über die aktuelle Lage und möglichen Folgen eines länger währenden Handelsstreits diskutiert. Wenn Sie sich zu diesem Thema auch gern einmal hörender Weise informieren wollen, empfehlen wir Ihnen gern die entsprechende Folge unserer Podcast-Reihe (233): „Trump außer Rand und Band – wie geht es weiter an den Finanzmärkten?“ . Viele der besprochenen Aspekte besitzen auch aktuell noch Gültigkeit.

1 In den Medien und auch in der Politik wird in der aktuellen Diskussion anstatt von der Leistungsbilanz häufig lediglich von der Handelsbilanz gesprochen. Während in der Handelsbilanz „nur“ sämtliche Exporte und Importe von Gütern erfasst werden, berücksichtigt die Leistungsbilanz zusätzlich noch die Exporte und Importe von Dienstleistungen sowie die Transfers von Erwerbs- und Vermögenseinkommen. Für die Argumente des vorliegenden Logbuchs ist die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Handelsbilanz nicht relevant.

2 Eine genaue Erläuterung dieses Fachbegriffs würde den Rahmen dieses Logbuchs sprengen. Darum an dieser Stelle hierzu nur so viel: Ein Land kann, selbst wenn es in allen Bereichen teurer produziert als andere Länder (also überall einen absoluten Kostennachteil hat), in bestimmten ausgewählten Bereichen trotzdem einen komparativen (relativen) Kostenvorteil haben. Allein das begründet bereits, warum der internationale Handel auch für Länder vorteilhaft ist, die eine geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit aufweisen.

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Über den Autor
Prof. Dr. Stefan May

Prof. Dr. Stefan May ist als Leiter Anlagestrategie und Produktentwicklung seit 2014 bei der Quirin Privatbank tätig und hat jahrzehntelange Erfahrung in der Kapitalmarktpraxis. Er ist zudem seit rund 30 Jahren Professor für Finanzmarktanalyse und Portfoliomanagement an der Technischen Hochschule Ingolstadt (mittlerweile emeritiert). Prof. May hatte maßgeblichen Anteil an der Einführung unseres auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kapitalmarktforschung basierenden Anlagekonzepts. Als Vorsitzender des Anlageausschusses der Bank ist er – gemeinsam mit dem Team der Vermögensverwaltung – nach wie vor für die fortlaufende Gestaltung und Optimierung der Anlagestrategien verantwortlich.

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