Eine Frau im höchsten politischen Amt der USA – wäre das nicht längst mal an der Zeit? Die erste Frau in ihrem Amt zu sein, das kennt Kamala Harris jedenfalls schon. Sie war die erste Bezirksstaatsanwältin San Franciscos. Sie ist die erste Vizepräsidentin der USA. Im November könnte die Tochter einer indischen Krebsforscherin und eines aus Jamaika stammenden Wirtschaftswissenschaftlers nun sogar die erste US-Präsidentin werden. Wer hätte das vor ein paar Wochen gedacht? Ich jedenfalls nicht, ich hätte das kaum mehr für möglich gehalten.
Schließlich hatte alles danach ausgesehen, dass der 81-jährige Joe Biden krampfhaft an seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit festhält. Verständlich, dass die Demokratische Partei angesichts seiner öffentlichen Aussetzer zusehends in Panik geriet. Auf der einen Seite die Bilder eines erstarrt oder verwirrt wirkenden Biden, der immer wieder Schwächen zeigt. Auf der anderen Seite das Bild von Donald Trump, der – kurz nachdem er von einer Kugel am Ohr getroffen wurde – die Faust vor dem Hintergrund einer US-Flagge kämpferisch in den Himmel reckt. Spätestens nach dem Attentat am 13. Juli schien es so, als sei Trump der Wahlerfolg nicht mehr zu nehmen.
Ein offenes Rennen
Man hat den Seufzer der Erleichterung sehr gut hören können, als sich Biden eine gute Woche nach dem Attentat auf Trump aus dem Rennen um die Präsidentschaft zurückzog und sich für Harris als Kandidatin aussprach. Gelöste Stimmung, teilweise Euphorie: Statt eines hitzigen internen Machtkampfs, weniger als 100 Tage vor der so wichtigen Wahl, flogen Harris schnell die Herzen zu. Ich freue mich, dass der Wahlausgang nun wieder viel offener ist.
Harris hat einiges vorzuweisen. Sie hat Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften studiert, war Generalstaatsanwältin und Senatorin Kaliforniens. Sie ist für viele eine Hoffnungskandidatin. Ich war beeindruckt, als ihr Wahlkampfteam schon eine Woche nach dem Rückzug von Biden verkündete, bereits Spenden von 200 Millionen Dollar gesammelt zu haben, vor allem von Erstspendern.
Für viele überraschend kam, dass Harris sich für Tim Walz als „Running Mate“ und Kandidaten für die Vizepräsidentschaft entschied. Der 60-Jährige ist seit 2019 Gouverneur von Minnesota, war lange Abgeordneter im Repräsentantenhaus. Auf der nationalen Bühne war er bislang nicht groß in Erscheinung getreten. Was kein Nachteil sein muss. Soldat, Lehrer, Football-Coach: Walz kommt aus dem mittleren Westen und der Mitte der Gesellschaft, entstammt nicht den urbanen Eliten der großen Küstenstädte. Schon bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt mit Harris feierten die Anhänger der Demokraten sein direktes, volksnahes Auftreten.
Mutig, aber gespalten
Mich hat schon oft die Begeisterung fasziniert, mit der Amerikanerinnen und Amerikaner Neuem begegnen. Selbst wenn im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ der „American Dream“ für viele nur ein Traum bleibt: Den Mut zur Innovation und die Hands-on-Mentalität fand ich immer inspirierend. Bedingung dafür, dass sich Menschen auch wirtschaftlich frei entfalten können, ist nach meiner Meinung aber eine offene Gesellschaft. Einer ausgrenzenden Politik hoher Mauern und hoher Zölle kann ich menschlich und als Unternehmer nichts abgewinnen.
Donald Trump hat für eine weitere Amtszeit als US-Präsident die größte Abschiebeaktion in der Geschichte der USA angekündigt. Auf Importe soll es einen Mindestzoll von 10 Prozent geben, was auch für die exportorientierte deutsche Wirtschaft eine Hiobsbotschaft wäre. Für Waren aus China drohte Trump sogar einen Mindestzoll von 60 Prozent an, eine weitere Eskalation im Handelskrieg.
Radikale Rhetorik und hasserfüllte Sprache ist man von Trump schon lange gewohnt. Dass sie bei seinen zahlreichen Anhängerinnen und Anhängern so großen Anklang findet, ist ein Zeichen dafür, wie tief gespalten die amerikanische Gesellschaft ist. Ich finde es bedenklich, wie unversöhnlich sich die verschiedenen Lager inzwischen gegenüberstehen. Der Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 hat mich tief entsetzt.
Zumindest geht nun Trumps Strategie nicht länger auf, sich am Alter des demokratischen Präsidentschaftskandidaten abzuarbeiten. Eher scheint man bei den Republikanern nervös zu werden, dass Trump mit sexistischen und rassistischen Ausfällen gegen Harris potenzielle Wählerinnen und Wähler verschreckt. Harris will gegen Trump offenbar ihre Karten als ehemalige Staatsanwältin ausspielen. Das zeigt ihre Aussage, „Typen wie Donald Trump“ aus dem Gerichtssaal zu kennen.
Ich erwarte ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ähnlich wie 2016 und 2020 dürfte die Wahlnacht höchst dramatisch werden. Bei den US-Präsidentschaftswahlen zählt nicht, wer die meisten Stimmen aller Wählerinnen und Wähler der USA auf sich vereint. Es zählt, wer in den einzelnen Bundesstaaten gewinnt. In 48 von 50 Bundesstaaten gilt: „The winner takes it all.“ Die- oder derjenige sichert sich alle Stimmen der Wahlleute, die der jeweilige Staat in das „Electoral College“ entsendet. Spannend wird es vor allem in „Swing States“, in denen Umfragen auf ein knappes Rennen hindeuten.
Was bedeutet die Wahl für die Märkte?
Die Umfragen zur Wahl werden nicht nur von den Medien genauestens verfolgt, sondern auch an den Märkten. Das Schlagwort vom „Trump-Trade“ macht schon länger die Runde. Dahinter steckt der Versuch, sich möglichst frühzeitig in Branchen zu positionieren, die von der Politik Trumps voraussichtlich profitieren. Ziemlich unmittelbar nachdem bekannt wurde, dass sich Harris statt Biden um die Präsidentschaft bewirbt, war plötzlich vom „Harris-Trade“ die Rede. Dabei hatte sich Harris zu ihrem möglichen wirtschaftspolitischen Kurs noch gar nicht konkret geäußert. Sie ahnen vielleicht, was ich von solchen Wetten halte: Mit einer soliden Geldanlage haben solche Spekulationen nichts zu tun. Es heißt durchaus zu Recht, dass politische Börsen kurze Beine haben.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Politische Entscheidungen können die Kurse einzelner Branchen und ganzer Märkte bewegen. Aber Wahlaussagen sind noch keine politischen Entscheidungen. Anders als im Wahlkampf geht es im politischen Alltag doch meistens darum, Kompromisse zu finden. Nicht nur die Präsidentschaft, auch die Mehrheitsverhältnisse im Kongress sind offen. Im November stehen alle Sitze im Repräsentantenhaus und rund ein Drittel der Senatssitze zur Wahl an.
Ein(e) US-Präsident(in) ist mächtig, aber entscheidet nicht allein. Und nicht alles. Die Kurse an den Märkten werden nicht im Oval Office gemacht. Von der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Zinsniveau bis zu einzelnen unternehmerischen Entscheidungen können alle möglichen Variablen eine Rolle spielen. Keine dieser Variablen lässt sich im Vorhinein genau kalkulieren. Pauschale Aussagen, wie sich der Aktienmarkt allgemein oder einzelne Sektoren nach dem 5. November entwickeln werden, lassen sich nicht verlässlich treffen.
„Trump-Trade 1.0“ verpuffte schnell
Schaut man auf die erste Amtsperiode von Donald Trump zurück, lässt sich das ganz gut belegen. In den ersten Wochen nach der Wahl zeigten zwar die Bereiche des US-Aktienmarkts eine gewisse Stärke, die von den Deregulierungsplänen Trumps besonders profitierten: Aktien aus der Finanz- und Energiebranche oder kleinere Unternehmen zum Beispiel. Technologie- und Gesundheitsaktien schwächelten dagegen vorübergehend. Betrachtet man aber die Entwicklung der gesamten Amtsperiode, dreht sich das Ergebnis um. Technologie war der große Gewinner, Energie der große Verlierer.
Es hat über die Grenzen der USA hinaus höchste Relevanz, wer im Weißen Haus das Sagen hat. Geopolitisch ist das von immenser Bedeutung. Trotzdem sollte man im Hinterkopf behalten, dass die US-Aktienmärkte unter den allermeisten Präsidenten der jüngeren Geschichte gestiegen sind. Auch in der Amtszeit von Trump verbuchte der S&P 500 ein sattes Plus. Das große Börsenbeben, das so mancher für den Fall seiner Präsidentschaft vorausgesehen hatte, blieb aus.
Die Wirtschaft treibt den Markt an
Zwischen 1989 und 2024 ist es in der US-Wirtschaft nicht immer wie am Schnürchen gelaufen. Insgesamt aber ist die US-Wirtschaft stark gewachsen. Ihre Widerstandsfähigkeit hat sie gerade in den vergangenen Quartalen nochmals eindrucksvoll bewiesen. Selbst wenn inzwischen am US-Aktienmarkt gewisse Rezessionsängste die Runde machen und in diesem Zuge die Kurse vorübergehend eingeknickt sind: Langfristig ist die Marktwirtschaft auf Wachstum ausgerichtet. Und deshalb sind es auch die Aktienmärkte.
Wer als Nächstes ins Weiße Haus einzieht, wird an diesem Zusammenhang nichts ändern wollen. Weil Wachstum aber nicht jederzeit und überall garantiert ist, ist „Ausgrenzung“ auch in der Anlagestrategie keine gute Idee. Ich bin fest überzeugt: Die Vielfalt eines möglichst gut diversifizierten Weltmarktportfolios ist im Hinblick auf Renditechancen und Risiken der beste „Trade“, um sich an den Aktienmärkten zu positionieren – auch vor den nächsten US-Präsidentschaftswahlen.