arrow left
Alle News

Die Schönheit des Zufalls

,
Minuten

Wissen Sie, was die Beatles, Google, Streichhölzer, Apple und Mikrowellen gemeinsam haben? Richtig: Ihr Dasein basiert auf reinem Zufall. Die Beatles entstanden, weil John Lennon 1957 auf einem Gartenfest im Liverpooler Stadtteil Woolton auftrat und ein gemeinsamer Bekannter ihm Paul McCartney vorstellte. Ähnlich verhielt es sich bei den Gründern von Google, Larry Page und Sergey Brin, und den geistigen Vätern von Apple, Steve Jobs und Steve Wozniak. Auch in Forschung und Wissenschaft spielen Zufälle immer wieder eine große Rolle – ohne sie wären Penizillin oder die Röntgenstrahlen nie entdeckt worden. Oder die kulinarische Vorliebe der plastikfressenden Großen Wachsmotte (Galleria mellonella), die zur Lösung eines der größten Umweltprobleme der Menschheit beitragen könnte. Was wäre die Welt ohne diese großartigen Entdeckungen und Erfindungen?

Beatles

Corona raubt uns den Raum für den Zufall   

Zufälle sind damit in erheblichem Maße der Treiber von Innovation, Kreativität und Fortschritt. Dabei lassen sich zwei Arten von Zufällen unterscheiden: zufällige Ereignisse und zufällige Begegnungen. Beide brauchen Raum zur Entfaltung und die Gelegenheit, zu passieren.

Corona schränkt diese Gelegenheiten momentan ein. Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass Ihr Leben sich eintöniger oder langweiliger anfühlt? Wir sind alle viel weniger unterwegs, viele Menschen arbeiten seit März mehr oder minder im Homeoffice. Dadurch entfallen nicht nur Dienstreisen und persönliche Besprechungen, sondern auch viele zufällige bereichernde Begegnungen rechts und links des Wegesrandes: Gespräche an der Kaffeemaschine, Smalltalk auf dem Bürokorridor, der Plausch mit dem Taxifahrer oder mit dem Sitznachbarn im Flugzeug. Damit wird der Spielraum für den Zufall immer enger. Auf welche Ideen die Weltgemeinschaft durch diese wegfallende Zufallskommunikation nicht kommt, kann keiner ermessen. Auch wenn wir natürlich nicht vermissen können, was nie erfunden oder entdeckt wurde, fürchte ich, dass uns doch einiges durch die Lappen gehen könnte, dass der wegfallende Zufall unsere Entwicklung auf jeden Fall ein wenig verlangsamen wird.

Wenn ungeplant Neues entsteht

Wenn durch zufällige Begegnungen oder Ereignisse ungeplant Neues entsteht, wenn wir Bedeutsames entdecken, ohne es vorher darauf angelegt zu haben, hat man das früher oft als glückliches Händchen oder eben schlicht als Zufall bewertet. Heute wird dieses Phänomen neudeutsch als Serendipität (im Englischen: serendipity) bezeichnet. Die Nutzung des Begriffes ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen, auch wenn er mir persönlich im täglichen Sprachgebrauch relativ selten über den Weg läuft.

Erwähnungen des Wortes serendipity

Den Zufall zulassen  

Häufig geht neuen Entdeckungen ein Scheitern voraus. Der eigentliche Plan geht schief, doch dafür wird man mit anderem belohnt. Kolumbus wollte eigentlich nach Indien – und entdeckte zufällig Amerika. Was lernen wir daraus? Aus Fehlern kann Gutes entstehen, wir müssen Fehler zulassen und der Kraft des Zufalls damit Raum geben. Wichtig ist dabei: Das Entdecken von Neuheiten oder Besonderheiten allein reicht nicht. Es braucht immer auch die Weitsicht und die Ausdauer des Entdeckers, um das Potenzial der Entdeckung oder der Begegnung zu begreifen und zu nutzen. Dafür ist eine gewisse Einstellung, eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur hilfreich: Experimentierfreude, eine gute Beobachtungsgabe und die Bereitschaft, auch vermeintliche Fehlschläge auszuloten.

Columbus

Weniger Dienstreisen, weniger Zufall, weniger Wachstum    

Im unternehmerischen Kontext begünstigen neben diesen Persönlichkeitsmerkmalen auch das Unterwegssein, der persönliche Austausch den glücklichen Zufall. Dafür sind persönliche Meetings und Dienstreisen unerlässlich, auch wenn sich vieles auf digitalem Wege klären lässt. Oder andersrum gesprochen: Ohne Dienstreisen und Präsenztermine weniger Serendipität. Und das kann uns auf Dauer teuer zu stehen kommen. So kam ein Forscherteam um den Harvard-Ökonomen Ricardo Hausmann zu dem Ergebnis, dass 17 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verlorengehen könnten, wenn Dienstreisen dauerhaft wegfielen.[1] Nicht nur, weil die Airlines und Hotels keine Umsätze mehr machen. Denn: Wissenstransfer erfolgt in erster Linie persönlich, sprich bei persönlichen Begegnungen. Wenn das wegfällt, gehen viel Wissen, Innovation und Produktivität verloren.

Schmidts Serendipität: Wie der Zufall es wollte …  

Sie können es sich vielleicht denken – auch in meinem Leben gab es Zufälle und Begegnungen, die mich privat und als Unternehmer maßgeblich beeinflusst haben. So saß ich beispielsweise kurz nach der Jahrtausendwende in einem kleinen Büro auf dem Triumph-Adler-Gelände in Nürnberg. Hinter mir lag Consors mit allen Höhen und Tiefen, vor mir auf dem Tisch meine Idee für eine neue Bank. Eine Bank mit einem Geschäftsmodell, das es bis dato auf dem deutschen Markt nicht gab.  

Die Idee zu diesem Modell entstand, weil ich immer wieder gefragt wurde, welche Bank ich denn empfehlen könne. Und die Antwort war immer dieselbe: Keine. Alle hatten über ihre Provisionsgier den Kunden vergessen und stellten ihre eigenen Interessen über die der Kunden – zu deren Nachteil. Die Folge waren Falschberatungen, Verkauf unpassender oder überteuerter Produkte und steigende Unzufriedenheit bei den Kunden. Es war höchste Zeit für eine neue Art von Banking, es war Zeit für eine neue Bank.

Das Konzept stand also, ich brauchte nur noch Geschäftspartner, mit denen ich es umsetzen konnte. Das dachte ich zumindest. Kurz darauf traf ich einen alten Freund und Consors-Kollegen wieder, Franz Baur. Schnell waren wir auch bei Bankthemen – wie sollte es anders sein? – und ich erzählte ihm von meiner Idee. Und er? Er zerriss sie in der Luft. Naja, nicht ganz, aber fast. Er rüttelte mich wach und machte mir klar, dass das, was ich vorhatte, nichts Halbes und nichts Ganzes sei. Diese Worte habe ich heute noch im Ohr. Und recht hatte er. Ich wollte die Honorarberatung einführen, aber nicht ausschließlich nach diesem Prinzip arbeiten, sondern beide Welten anbieten, Provisions- und Honorarberatung. Das passe nicht zu mir, meinte Franz. Also schliff ich den Rohdiamanten weiter und feilte an dem Konzept, bis es perfekt war.

Karl Matthäus Schmidt

Nicht gesucht – und doch gefunden

Doch weitere Begegnungen waren nötig, um der bis dato theoretischen Idee Leben einhauchen zu können. Ich hatte zwar ein Konzept, aber keine Bank. Holger Timm, ebenfalls ein Geschäftsfreund aus Consors-Zeiten, hatte damals eine Bank (Berliner Effektenbank), aber kein zukunftsweisendes Geschäftsmodell für Privatkunden. Ich brauchte ihn, er mich vielleicht auch ein bisschen. Wir hatten uns nicht gesucht und doch gefunden. Gleiches galt für meinen heutigen Partner und damaligen Mitgründer der Quirin Privatbank AG, Johannes Eismann, der verantwortlich für das Kapitalmarktgeschäft und die Finanzen ist. Das waren meine zufallsgetriebenen Begegnungen auf dem Weg zur ersten unabhängig beratenden Bank Deutschlands, der Quirin Privatbank AG (damals zur Gründung quirin bank AG).

Geben Sie der Schönheit des Zufalls eine Chance!

Zugegeben – meine Geschichte hat vielleicht nicht ganz so weltumspannende Auswirkungen wie das zufällige Zusammentreffen von John Lennon und Paul McCartney oder den beiden Steves in Kalifornien. Aber darum geht es mir auch gar nicht.

Was ich Ihnen sagen will? Halten Sie Ihre Augen, Ohren und Herzen offen. Denn was im Business gilt, gilt auch im Privaten. Wir können unser Leben bereichern und manchmal in unerwartete Bahnen lenken, wenn wir neugierig, zugewandt und interessiert sind.

Im Moment erschwert uns Corona die Möglichkeiten dazu erheblich. Und trotzdem gibt es sie: die kleinen Chancen im Alltag auf etwas Serendipität, auf die Schönheit und Kraft des Zufalls. Beim Bäcker, beim Friseur, beim (bisher noch erlaubten) Fitnessstudiobesuch. Oder eben die drei Minuten Smalltalk vor Beginn des nächsten digitalen Meetings. Und wenn die nicht reichen, dann planen Sie doch mal eine virtuelle, zufallsgesteuerte Kaffeepause mit Kollegen oder Freunden. Denn Serendipität ist das Glück des Tüchtigen. In diesem Sinne: Bleiben Sie tüchtig.

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

[1]  https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/videokonferenzen-koennen-dienstreisen-nicht-ersetzen-16916518.html?premium

Auf einen Kaffee

 

Disclaimer/rechtliche Hinweise

Der Beitrag ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Er enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Erläuterungen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Die Informationen wurden einzig zu Informations- und Marketingzwecken zur Verwendung durch den Empfänger erstellt und können keine individuelle anlage- und anlegergerechte Beratung ersetzen.

Die Informationen stellen keine Anlage- Rechts- oder Steuerberatung, keine Anlageempfehlung und keine Aufforderung zum Erwerb oder zur Veräußerung dar. Die Vervielfältigung und Weiterverbreitung ist nicht erlaubt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne unsere ausdrückliche vorherige schriftliche Genehmigung nachgedruckt oder in ein Informationssystem übertragen oder auf irgendeine Weise gespeichert werden, und zwar weder elektronisch, mechanisch, per Fotokopie noch auf andere Weise.

 

Über den Autor

Hören Sie passend zum Thema unseren Podcast „klug anlegen“

Das könnte Sie auch interessieren

Q.Ai macht Schule – wenn die KI zum Lehrer wird
September 13, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Q.Ai macht Schule – wenn die KI zum Lehrer wird

Ist die deutsche Wirtschaft noch zu retten?
September 6, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Ist die deutsche Wirtschaft noch zu retten?

Halb voll oder halb leer?
August 30, 2024
Inside Quirion
Finanzwissen

Halb voll oder halb leer?

Jetzt anlegen und Vermögen aufbauen.