Werfen wir zunächst einen etwas genaueren Blick auf die aktuelle Inflationslage.
Euro-Raum-Inflation hartnäckiger als erwartet
Die Inflation im Euro-Raum hat sich im April – nach vorläufigen Berechnungen – nicht weiter dem Zielwert der EZB (2 %) angenähert. Stattdessen verharrte sie bei 2,2 % (gegenüber dem Vorjahresmonat). Die Kernrate, bei der die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise unberücksichtigt bleiben, legte hingegen von 2,4 auf 2,7 % zu. Die Kerninflation ist wichtig, weil sie den Notenbanken hilft, den zugrunde liegenden Inflationstrend besser zu identifizieren, ohne dass dieser von kurzfristigen Preisspitzen bei Lebensmitteln und Energie beeinflusst wird.
Die Kerninflation wird insbesondere durch relativ hohe Dienstleistungspreise belastet, was der EZB unverändert Kopfzerbrechen bereitet. In diesem Sektor legte die Teuerung im April um 3,9 % zu – nach 3,5 % im März. Ein Grund für die höhere Dienstleistungsinflation im April dürfte das (ausgabenträchtige) Osterfest gewesen sein, das 2025 deutlich später war (18. bis 21. April) als 2024 (29. März bis 1. April).
Die Teuerung im Dienstleistungssektor ist – unabhängig vom Oster-Sondereffekt im April – ein Warnsignal, denn sie zeigt, dass der Preisdruck in diesem Sektor hartnäckig hoch bleibt. Trotz der weiterhin eher schwachen Konjunktur in der Euro-Zone und insbesondere in der größten Volkswirtschaft Deutschland gelingt es den Unternehmen im Dienstleistungssektor offenkundig nach wie vor, vor allem die gestiegenen Lohnkosten größtenteils an ihre Kundinnen und Kunden weiterzugeben.

Inflation in Deutschland zuletzt etwas höher als erwartet
Die Inflation in Deutschland sank im April nicht ganz so stark, wie es im Vorfeld erwartet wurde. Dies liegt auch hierzulande an deutlich teureren Dienstleistungen. Die Verbraucherpreise legten im April (laut einer Erstschätzung des Statistischen Bundesamtes) um 2,1 % zu. Das sind 0,1 Prozentpunkte weniger als im März – Ökonomen hatten im Schnitt mit einem Rückgang um 0,2 Prozentpunkte gerechnet. Was aber im Grundsatz nichts daran ändert, dass sowohl in der Euro-Zone als auch in Deutschland das EZB-Inflationsziel von 2 % klar in Sichtweite rückt. Dabei half der Ölpreis zuletzt kräftig mit.
Fallender Ölpreis bremst Inflation
Die große Unsicherheit, die US-Präsident Donald Trump mit seiner erratischen Vorgehensweise ausgelöst hat, führt u. a. auch zu einer niedrigeren Nachfrage der Industrie nach Öl. In der Folge ist der Ölpreis, der auf direkte (Benzinpreis) und indirekte Weise (Heizölpreis) eine wichtige Einflussgröße bei der Inflationsberechnung darstellt, deutlich gefallen. Hinzu kommt: Neben den sich eintrübenden Aussichten für die Weltkonjunktur, die die Ölnachfrage drücken, hat das OPEC-Kartell kürzlich entschieden, seine Produktion ab Juni – trotz der momentanen Nachfrageschwäche – weiter zu erhöhen. Die jüngste Schwäche des US-Dollars drückt die Ölrechnung (auf Euro-Basis) zusätzlich.


Rückläufige Inflation bei deutlich höheren Lebenshaltungskosten
Auch wenn sich die aktuellen Inflationsraten wieder auf ein erträgliches Maß zurückgebildet haben, möchten wir auf einen wichtigen Aspekt hinweisen, der in diesem Zusammenhang gern übersehen bzw. massiv unterschätzt wird: Eine rückläufige Inflation bedeutet nicht, dass die Preise wieder zurückgehen, sondern lediglich, dass sie nicht weiter so stark wie in der Vergangenheit ansteigen. Obwohl die Inflationsraten zuletzt also vergleichsweise niedrig ausgefallen sind, ist die Lebenshaltung insgesamt in den letzten Jahren doch erheblich teurer geworden.
Konkret: Im April 2020 lag der deutsche Verbraucherpreisindex (also die Basis für die Berechnung der Inflationsraten) mit 100,4 bei ziemlich genau 100 Punkten. Im April dieses Jahres lag der Index mit 121,7 Punkten gegenüber 2020 um gut ein Fünftel höher.

Die durchschnittliche Lebenshaltung in Deutschland hat sich in den letzten fünf Jahren somit um gut 20 % (!) verteuert. Oder anders ausgedrückt: Sofern dieser Anstieg nicht durch entsprechende Steigerungen bei Löhnen, Gehältern oder Renten kompensiert wurde, müssen die Menschen in Deutschland heute im Schnitt über 20 % mehr für ihre Lebenshaltung aufwenden als im April 2020.
Rückkehr hoher Inflationsraten in der Euro-Zone eher unwahrscheinlich
Der schwelende Zollkonflikt sollte in den kommenden Monaten die Inflation in der Euro-Zone im Zaum halten. Die von den USA angeheizte Zolldebatte verunsichert auch viele europäische Unternehmen, was auf deren Investitionslaune drücken dürfte. Eine daraus resultierende geringere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen wird den Inflationsdruck reduzieren. Die angesprochene Verunsicherung dürfte auch auf viele Verbraucherinnen und Verbraucher abfärben, was die Konsumausgaben belasten wird. Last, but not least: Solange sich die globale Konjunktur nicht stärker belebt (wonach es aktuell nicht aussieht), sollte auch der Ölpreis nicht spürbar anziehen.
US-Inflation: Entspannung, aber keine Entwarnung
Die Inflationsrate in den USA ist im April mit 2,3 % (gegenüber der März-Rate von 2,4 %) leicht gesunken – die Kerninflationsrate ist stabil geblieben (2,8 %). Seit Jahresbeginn sind beide Größen allerdings spürbar rückläufig.

Trotz der zuletzt erfreulichen US-Daten ist Vorsicht geboten. Die vorliegenden Inflationsdaten erfassen nämlich noch nicht die preistreibenden Effekte von Trumps Zollpolitik. Zwar werden diese Effekte durch die jüngsten, erheblichen Zollsenkungen – die nunmehr auch China erfassen – abgemildert, die verbleibenden Zollraten (z. B. 30 % auf chinesische Importe) belasten aber immer noch spürbar. Und spätestens wenn die 90-Tage-Fristen für die umfassenden Zollsenkungen bzw. für den Aufschub der hohen Zölle im Sommer auslaufen, kann sich schnell eine neue Inflationsdynamik entfalten. Man kann zwar davon ausgehen, dass in bilateralen Verhandlungen etliche Zollvereinbarungen ausgehandelt werden. Doch Zölle, das hat Trump mehr als einmal klargemacht, sind eine Waffe, die er wohl während seiner ganzen Amtszeit einsetzen wird … fragt sich nur, in welchem Umfang und in welcher Höhe sie am Ende bestehen bleiben.
Hohe Zölle: Preistreiber in den USA – Preisdrücker in Europa?
Der Zollstreit wirkt voraussichtlich gegenläufig auf die Inflation in den USA und in Europa. Verbraucherinnen und Verbraucher in Amerika müssten zukünftig (wenn es zu keiner weitreichenden Zolleinigung kommt) mit starken Preisanstiegen vor allem für China-Importe rechnen. In Europa dürfte es eher umgekehrt sein: Asiatische und speziell chinesische Waren könnten zum Ausgleich wegbrechender Exporte in die USA mit (teils kräftigen) Preisabschlägen nach Europa verschifft werden. Diese Aussicht, die in Europa eher inflationsdämpfend wirkt, sorgt allerdings bei nicht wenigen europäischen Unternehmen für Unbehagen.
Die unübersichtliche Gemengelage stellt auch die Notenbanken vor besondere Herausforderungen.
Und was machen die Notenbanken?
Zuletzt verdichteten sich die Anzeichen, dass die EZB im Juni auf eine weitere Zinssenkung zusteuert. Aktuell dominieren bei den Notenbankern die Stimmen, die noch Spielraum für mindestens eine weitere Zinssenkung in 2025 sehen. Der nächste Zinsentscheid der EZB steht am 5. Juni an. Seit Beginn der Zinswende im Juni 2024 hat die Notenbank den Einlagensatz insgesamt siebenmal um je 25 Basispunkte gesenkt (von 4,00 auf aktuell 2,25 %).
Ob es nach der erwarteten Zinssenkung im Juni (auf vermutlich 2 %) noch zu weiteren Ermäßigungen im Jahresverlauf kommen wird, lässt sich kaum abschätzen. In den aktuell turbulenten Zeiten kann sich die Datenlage und die EZB-Einschätzung schnell ändern. Auch die Notenbank stochert momentan mehr oder weniger im Nebel. Letztlich tut die EZB daher gut daran, ihren geldpolitischen Kurs von der aktuellen Datenlage abhängig zu machen – was sie ja auch selber immer wieder betont – und dann von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden.

Doppelmandat bereitet Fed Kopfzerbrechen
Die US-Notenbank hat den Leitzins jüngst in der Spanne von 4,25 bis 4,50 % belassen. Er gilt seit Mitte Dezember 2024. Vor einem möglichen Zinssenkungsschritt möchte sie mehr Klarheit, wie sich die Zollpolitik auf die Konjunktur und die Inflation auswirkt. Die US-Notenbank hat im Anschluss an ihre letzte Sitzung zudem ein klares Signal Richtung US-Präsident Trump gesendet: Egal wie stark der Druck auch ist, den er auf die Fed und vor allem auf ihren Chef Jerome Powell ausübt, sie wird nicht auf Geheiß des Weißen Hauses die Leitzinsen senken.
Die Wichtigkeit dieses Signals kann man nicht hoch genug einschätzen – und das nicht nur mit Blick auf die USA. Die Unabhängigkeit der US-Notenbank ist ein extrem hohes Gut. Würde man sie in Zweifel ziehen oder gar als beschädigt ansehen, würde das den Status des Dollars und von US-Staatsanleihen als weltweit sicherer Hafen stark beschädigen – Marktturbulenzen inklusive. Ein Vertrauensverlust ließ sich ansatzweise bereits in den letzten Wochen beobachten mit der Folge eines schwächeren US-Dollars und spürbar steigenden Renditen bei länger laufenden US-Staatsanleihen. Mittlerweile haben sich die Wogen – zumindest vorübergehend – wieder geglättet.
Das Festhalten an dem seit Dezember geltenden Leitzinsband reflektiert die zunehmende Unsicherheit über die konjunkturellen Folgen von Trumps Einfuhrzöllen. Wie hat es Fed-Chef Powell auf einer Pressekonferenz am 7. Mai fast schon ratlos formuliert: „Wir wissen nicht, wie stark die Effekte der Zollpolitik auf Preise und Realwirtschaft sein werden – und wir können noch nicht mal sicher sein, wann wir schlauer sind. Es kann Wochen, aber auch Monate dauern.“
Eins dürfte in jedem Fall feststehen: Sein voraussichtlich letztes volles Jahr im Amt dürfte für den US-Notenbankchef ein sehr herausforderndes werden. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie unabhängig sein Nachfolger ab Mai 2026 agieren kann.
Nachdenklich stimmen die Fed die jüngste Konjunkturschwäche und der immense Vertrauensverlust. Die gute Laune bei Verbraucherinnen bzw. Verbrauchern und Unternehmen ist mittlerweile wachsender Ratlosigkeit und Verunsicherung gewichen. Denn anders als die EZB muss die Fed neben Preisstabilität auch den stark von der Konjunktur abhängigen Arbeitsmarkt im Blick behalten.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seiner jüngsten April-Schätzung seine US-Wachstumsprognose bereits deutlich zurückgenommen: auf 1,8 und 1,7 % für 2025 und 2026 (vorherige Schätzung: 2,7 und 2,1 %) – nach einem robusten BIP-Wachstum von 2,8 % im letzten Jahr.
Tendiert die US-Wirtschaft am Ende sogar in Richtung des von einigen befürchteten Szenarios einer Stagflation (stagnierendes Wirtschaftswachstum, höhere Inflation), würde das die ohnehin schon schwierige Abwägung der Fed zusätzlich verkomplizieren: Einerseits dürften die von Trump verhängten Zölle den Inflationsdruck in den USA verstärken und andererseits könnte sich der heimische Arbeitsmarkt konjunkturbedingt eintrüben. Daraus ergäbe sich folgendes Dilemma für die Währungshüter: Steigende Verbraucherpreise müssten sie einerseits mit steigenden Zinsen bekämpfen, während andererseits ein Konjunkturabschwung und steigende Arbeitslosigkeit für sinkende Zinsen sprächen. In solch einem Szenario müssten die Notenbanker ermessen, was aus ihrer Sicht schwerer wiegt: Inflationsbekämpfung oder Konjunkturbelebung.
Angesichts der vielen Unwägbarkeiten lässt sich praktisch keine seriöse Einschätzung abgeben, wie sich die US-Leitzinsen in diesem Jahr entwickeln werden. Die Fed dürfte – ähnlich wie die EZB – weiterhin auf Sicht fahren, also von Sitzung zu Sitzung in Abhängigkeit von den dann vorliegenden neuen Konjunkturdaten entscheiden. Die US-Notenbanker selbst rechnen übrigens in ihrer Zinsprognose für Ende 2025 im Mittel mit einem Leitzins von 3,9 % – das deutet auf zwei kleine Zinsschritte in diesem Jahr hin. Aber auch das ist nur eine Momentaufnahme.
Wie sollten sich Anlegerinnen und Anleger verhalten?
Dass die EZB ihre Leitzinsen Anfang Juni vermutlich weiter senken dürfte (von aktuell 2,25 auf 2,00 %), ist keine gute Nachricht für alle Kurzfristsparerinnen und -sparer. Die Leitzinssenkung dürfte sofort auf die stark vom EZB-Einlagensatz abhängige Verzinsung von Termin- und Festgeldern durchschlagen, die in der Folge weiter an Attraktivität verlieren.
Das beste Mittel gegen die sich eintrübenden Zinsaussichten ist ein hinsichtlich der Anleihelaufzeiten, der Anleihenanzahl und der Schuldnerbonitäten breit gestreutes Anleihen-Portfolio – am besten in Kombination mit einem je nach individuellem Risikoprofil angemessenen Aktienanteil. Dabei sollte der Fokus auf soliden Anleihen liegen, um bei Bedarf die meist stärkeren Aktienmarktschwankungen möglichst gut abzufedern (Stichwort: Stabilitätsanker). Eine derartige Aufstellung bietet beispielsweise unsere Vermögensverwaltung „Markt“. Wohldosiert werden hier nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Anleihen gezielt Renditechancen genutzt, was seit Anfang 2022 – nach den kräftigen Renditeanstiegen im Anleihesegment – wieder deutlich besser möglich ist.