Während die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Zinssenkungen erst mal auf Eis gelegt hat, kämpfen Frankreichs Anleihen mit einer politischen Vertrauenskrise. In Deutschland breitet sich langsam die Sorge vor einem schuldeninduzierten Zinsanstieg aus und in den USA scheint sich die spektakuläre Inversion der Zinskurve der Vergangenheit in ihr extremes Gegenteil zu verkehren.
Drei große Volkswirtschaften, drei verschiedene Situationen – und doch eine gemeinsame Frage: Wohin geht die Reise der Zinsen und Anleiherenditen?
Deutschland: Verliert Europa seinen Stabilitätsanker?
Die EZB hat nach ihrer letzten Sitzung am 11. September klar signalisiert: Die Leitzinsen bleiben vorerst da, wo sie momentan sind, bei 2 %. Präsidentin Christine Lagarde betonte, die Inflation habe mit einem Augustwert von 2,0 % punktgenau das Zwei-Prozent-Ziel der EZB getroffen, die Geldpolitik sei „in a good place“. Für Deutschland, dessen Anleihemarkt als Benchmark für den Euro-Raum gilt, bedeutet das: Der kurze Laufzeitenbereich der Renditekurve, der sich stark an den EZB-Leitzinsen orientiert, stabilisiert sich auf ermäßigtem Niveau.
Doch am langen Ende brodelt es: Die Rendite 30-jähriger Bundesanleihen kletterte Anfang September zeitweise über 3,4 Prozent, der höchste Stand seit 2011 – ungewöhnlich für einen Markt, der eigentlich als „sicherer Hafen“ gilt. Diese Eigenschaft wird aber offenkundig mehr und mehr in Frage gestellt. Grund: Die geplanten riesigen Investitionsvorhaben in Rüstung und Infrastruktur sollen vornehmlich durch die Ausgabe länger laufender Bundesanleihen finanziert werden.
Ein in der Folge stark anschwellendes Angebot an neuen Anleihen könnte – so die Befürchtung – für weiter steigende Renditen sorgen. Denn Anlegerinnen und Anleger verlangen für längere Bindungsfristen ihres Vermögens normalerweise einen höheren Risikoaufschlag, sprich höhere Renditen.


Frankreich: ein Markt unter Stress
Noch kritischer sieht es bei den französischen Staatsanleihen, den sog. „OATs“ (Obligations assimilables du Trésor), aus. Dort hat die Kombination aus politischem Stillstand und herabgestuftem Kreditrating die Renditen kräftig nach oben getrieben. Kürzlich senkte die Ratingagentur Fitch Frankreichs Bonität von AA- auf A+. Ein Fitch-Rating von A+ bedeutet: gute bis befriedigende Bonität mit einer geringfügigen Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Lage; also trotz Ratingverschlechterung immer noch weit entfernt von einem ernsthaft in Zahlungsschwierigkeiten steckenden Land.
Nach dem Scheitern der Regierung Bayrou und der Ernennung von Sébastien Lecornu zum neuen französischen Premier bleibt die Lage dennoch angespannt. Denn Frankreich ist nicht nur vergleichsweise hoch verschuldet, sondern gilt derzeit als fast nicht regierbar, weil sich in der Nationalversammlung drei große politische Blöcke unversöhnlich gegenüberstehen.
Viele fragen sich deshalb, wie denn der neue Premier die für Frankreich so dringend nötigen Reformen umsetzen soll. Vielmehr droht eine Hängepartie bis zu den nächsten französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027.
Die Konsequenz aus der ganzen Malaise: Anlegerinnen und Anleger fordern spürbar höhere Zinsen beim Kauf französischer Staatsanleihen. Die Rendite der 30-jährigen OAT stieg Anfang September bis auf knapp über 4,5 Prozent, ein langjähriger Höchststand. Der Renditeabstand zur entsprechenden Bundesanleihe erreichte ein Mehrjahreshoch. Damit zahlt Frankreich aktuell nicht nur deutlich mehr als die Bundesrepublik, sondern sogar mehr als die einstigen Euro-Krisenländer Griechenland, Portugal und Spanien.
Zuletzt gab es allerdings eine (vorläufige) Entwarnung: Die mit Spannung erwarteten Auktionen neuer französischer Staatsanleihen verliefen ohne größere Probleme – von Käuferstreik keine Spur. Die inzwischen vergleichsweise hohen Renditen locken offensichtlich zusätzliche Käufer an.

USA: von einem Extrem ins nächste?
Jenseits des Atlantiks dreht sich derweil die einschlägige Diskussion um die amerikanische Zentralbank, die Federal Reserve (Fed), vor allem um die Frage, wie lange der Zentralbankchef, Jerome Powell, den Forderungen Donald Trumps nach massiven Zinssenkungen noch standhalten kann. Nach Jahren aggressiver Leitzinserhöhungen (aufgrund eines starken Inflationsanstiegs) und einer spektakulären Inversion der Zinskurve – kurze Laufzeiten wurden deutlich höher verzinst als lange – deutet sich nun eine Rückkehr zur Normalität an.
Aktuell rentieren dreimonatige Schatzanweisungen mit knapp 4 Prozent, zweijährige US-Staatsanleihen (sog. „Treasuries“) mit rund 3,5 Prozent, 10-jährige mit 4,0 und die 30-jährigen mit 4,65 Prozent. Die US-Zinsstrukturkurve, lange Zeit ein konjunkturelles Krisensignal, ist in den mittleren und längeren Laufzeiten im Verlauf des letzten Jahres deutlich steiler geworden.

Lediglich das kurze Ende leistet noch Widerstand und bleibt invers. Grund: die Widerspenstigkeit Jerome Powells gegen den Druck Donald Trumps. Es gibt sogar Stimmen, die davon ausgehen, dass die Federal Reserve ohne die teils ehrabschneidenden Interventionen Trumps die Leitzinsen bereits gesenkt hätte. Interessante Randnotiz in diesem Zusammenhang: Powells Amtszeit als Fed-Chef endet im Mai 2026, dann dürften die Karten neu gemischt werden.
Doch wie auch immer: Mittlerweile erwarten die Märkte – Trump hin oder her –, dass die Fed aus ökonomischen Gründen demnächst senken wird – vor allem aufgrund einer spürbaren Konjunkturabkühlung und rückläufiger Beschäftigung. An den entsprechenden Terminmärkten sind für dieses Jahr bereits drei Zinssenkungsschritte à 0,25 Prozentpunkte eingepreist. Der erste erfolgte dann tatsächlich am letzten Mittwoch: Die US-Notenbank hat die Zinsspanne um 0,25 Prozentpunkte auf 4,00 bis 4,25 Prozent reduziert.
Gleichzeitig muss man allerdings damit rechnen, dass die Renditen langlaufender Anleihen hoch bleiben – eine Folge des gigantischen US-Schuldenbergs, der immer rasanter wächst. Am langen Ende sind somit die (erwarteten) Leitzinssenkungen bis dato verpufft. Die dynamisch wachsenden US-Staatsschulden sind ein Umstand, der an den Finanzmärkten sowie unter Ökonominnen und Ökonomen gleichermaßen für Unruhe sorgt. Die Hauptursachen sind ausufernde Staatsausgaben, umfangreiche Konjunkturpakete und enorme Verteidigungsausgaben – und nicht zuletzt auch eine mittlerweile deutlich gestiegene Zinslast.
Was heißt das alles nun für Anlegerinnen und Anleger?
Obwohl die globale Zinslandschaft noch fragmentiert ist, deutet sich doch eine grundsätzliche Tendenz an: Weltweit nehmen die Zinsstrukturkurven wieder eine normale Ausprägung an (längere Anleihelaufzeiten bieten höhere Renditen als kürzere) – und werden diese voraussichtlich auch beibehalten bei insgesamt vermutlich höheren Renditeniveaus, vor allem bei den längeren Laufzeiten. Speziell Letztere sind und bleiben anfällig für fiskalische und politische Schocks, was auch zu heftigeren Kursverlusten führen kann.
Bei kürzer laufenden Anleihen, die sich stark an der Leitzinsentwicklung orientieren, sieht die Lage hingegen deutlich entspannter aus. Auch wenn der Zyklus der EZB-Leitzinssenkungen abgeschlossen sein könnte, drohen andererseits auf absehbare Zeit keine Leitzinserhöhungen. Und wie bereits erwähnt, ist eben dieser Zyklus in den USA noch voll im Gange.
Trotz aller Unwägbarkeiten, die uns immer begleiten werden: Anleihen sind nicht mehr nur ein Risikoregulativ in einem gemischten Aktien-Anleihen-Depot – wie dies in den zinslosen Jahren vor 2022 der Fall war –, sondern sie bieten auch als eigenständige Anlage ein attraktives Renditepotenzial – allerdings verbunden mit ganz anleihespezifischen Risiken.